Ambulante Palliativ­­versorgung

ambulante Palliativversorgung
© iStock / SDI Productions
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Würde man Betroffene fragen, so würden rund 90 Prozent der Schwerkranken sagen, dass sie bis zuletzt zu Hause bleiben möchten. Tatsächlich sterben aber 70 bis 80 Prozent in Krankenhäusern. Seit 2007 gibt es für die Betreuung zu Hause die sogenannte „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)“. Mamma Mia! sprach mit Dr. Matthias Thöns vom Palliativnetz Witten über die Versorgung vor Ort.

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Mamma Mia!: Dr. Thöns, Sie betreuen seit über zehn Jahren schwerstkranke und sterbende Menschen zu Hause. Welche Maßnahmen umfasst Ihre Tätigkeit?

Dr. Matthias Thöns: In erster Linie erwarten die Patienten von dem Palliativmediziner im Team eine Linderung ihrer Beschwerden. Oft stehen Schmerzen im Vordergrund, aber auch beispielsweise Atemnot, Angst oder Übelkeit können sehr quälend sein. Zumeist gelingt es mit wenig eingreifenden Mitteln, diese Beschwerden zu beseitigen oder zumindest auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen ist zumeist nicht nur der Patient betroffen, die ganze Familie leidet mit. So gilt es, die vielen „erdrückenden Probleme“ zu besprechen. Ich glaube, meine drei Haupttätigkeiten sind: reden, reden, reden.

Mamma Mia!: Was sind die größten Herausforderungen, mit denen Sie in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert werden?

Dr. Matthias Thöns: Die Herausforderung ist das Finden guter Entscheidungen gemeinsam mit Patient und Familie. Insbesondere im späten Krankheitsverlauf kommen Entscheidungen zu Antibiotikagaben, zu künstlicher Ernährung oder der Gabe von Infusionen. Manchmal ist eben „weniger mehr“.

Mamma Mia!: Warum sterben Ihrer Meinung nach noch immer sehr viel mehr Menschen in Krankenhäusern als zu Hause?

Dr. Matthias Thöns: Dort, wo man Menschen eine gute Versorgung zu Hause zusagt, will fast keiner mehr die letzte Wegstrecke in die Klinik. Um die vielfältigen Probleme am Lebensende zu lösen, braucht es mehr als den „Doktor“. Hier müssen Medizin, Pflege und Hospizarbeit als Team zusammenarbeiten. Im Bereich des Palliativnetz Witten kommen wir auf Krankenhauseinweisungsraten um fünf Prozent.

Mamma Mia!: Wer trägt die Kosten für die ambulante Palliativversorgung (SAPV)?

Dr. Matthias Thöns: Seit Anfang 2007 hat jeder ein Recht auf diese Versorgung, die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Nur einzelne Privatversicherungen denken noch, das gehe sie nichts an. Vor einiger Zeit wurde die Continentale Krankenversicherung diesbezüglich vor dem Amtsgericht Witten von den Kindern einer Krebspatientin verklagt. Ich denke, alle Menschen haben in unserem Land ein Recht auf umfassende Versorgung am Lebensende.

Mamma Mia!: Wie sollte die optimale Palliativversorgung in Deutschland Ihrer Meinung nach aussehen?

Dr. Matthias Thöns: Es sollte ein dreistufiges Versorgungssystem geben, wie es der Europarat bereits 2003 für alle Mitgliedsstaaten anmahnte: 1. Jeder im Gesundheitswesen muss die Grundlagen der Schmerztherapie in der Ausbildung lernen. 2. Darauf aufbauend kann der Großteil der Patienten von weitergebildeten Leistungserbringern der Grundversorgung zu Hause begleitet werden. Diese allgemeine ambulante Palliativversorgung sollte eng verzahnt mit der SAPV zusammenarbeiten: 3. Die SAPV umfasst Ärzte und Pflegende auf Spezialistenniveau, die im Team zusammenarbeiten und schwerpunktmäßig Menschen am Lebensende begleiten. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der ich in der letzten Lebenszeit darauf vertrauen kann, umfassend dort versorgt zu werden, wo ich sein möchte – zu Hause.

Dr. Matthias Thöns

Arzt für Anästhesiologie, Notfall- und Palliativmedizin, spezielle Schmerztherapie
Anästhesiepraxis Dr. Thöns-Müller-Berge GbR
Wiesenstraße 14
58452 Witten
Tel.: +49 (0)2302 57093
Praxis für Palliativmedizin im Palliativnetz Witten e.V.

www.sapv.de

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