Eine Chemotherapie bei Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) soll Krebszellen beseitigen helfen, die vielleicht nach der Operation noch im Körper verblieben sind. Meist lassen sich durch den chirurgischen Eingriff nicht alle Tumorzellen restlos beseitigen. Ärztinnen und Ärzte gehen davon aus, dass noch „unsichtbare“ Krebszellen im Körper zirkulieren, sich teilen und vermehren und den Eierstockkrebs wieder aufflammen lassen können. Die Chemotherapie ist also auch dann ratsam, wenn die Operation erfolgreich war und der Eierstockkrebs samt örtlicher Krebsabsiedlungen komplett beseitigt wurde.
Zytostatika mit verschiedenen Wirkmechanismen
Zytostatika (Chemotherapeutika) sind starke Zellgifte, welche diese Krebszellen attackieren und abtöten sollen. Sie wirken auf verschiedene Weise und haben unterschiedliche Angriffsziele.
Sie können zum Beispiel:
- Prozesse blockieren, die für das Zellwachstum und die Zellteilung entscheidend sind.
- verhindern, dass genetische Informationen abgelesen oder Kopien von der Erbsubstanz angefertigt Die genetische Information ist in einem langkettigen Doppelstrang-Molekül – der DNA (Desoxyribonukleinsäure) – gespeichert, das sich stellenweise entfalten und öffnen muss, wenn eine bestimmte Information abgelesen werden soll. Will sich eine Zelle teilen, muss die DNA verdoppelt werden, damit jede Tochterzelle die gesamte Erbinformation erhält. Die Blockade dieser wichtigen Prozesse durch bestimmte Zytostatika kann die Krebszellen absterben lassen oder ihre Zellteilung stoppen.
- als sogenannte „Spindelgifte“ wirken – der Spindelapparat ist ein Gerüst aus feinen Röhrchen, mit dessen Hilfe das genetische Material vor der Zellteilung zu zwei verschiedenen Polen transportiert wird. Wird die Ausbildung des Spindelapparats durch Zytostatika gestört, können sich die Zellen ebenfalls nicht mehr teilen.
Durch die Kombination von Zytostatika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen lässt sich die „Schlagkraft“ der Chemotherapie erhöhen. Dieses Zusammenwirken von Substanzen nutzen Onkologinnen und Onkologen auch bei der Chemotherapie gegen Eierstockkrebs.
Wann keine Chemotherapie bei Eierstockkrebs?
Bei einem Ovarialkarzinom in einem sehr frühen Stadium ist manchmal keine Chemotherapie notwendig. Ein sehr frühes Stadium kommt bei Eierstockkrebs jedoch äußerst selten vor. Denn ungefähr 75 Prozent der Ovarialkarzinome finden Ärztinnen und Ärzte erst in einem fortgeschrittenen Stadium, so das Robert Koch-Institut (RKI). Dann ist meist eine Chemotherapie ratsam.
Die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie bei Eierstockkrebs ist immer individuell. Dabei spielen verschiedene Faktoren mit, allen voran die Größe und Ausdehnung des Tumors sowie die Aggressivität der Krebszellen.
Eierstocktumoren lassen sich anhand bestimmter Merkmale der Zellen einteilen in:
- „low grade“ – diese Tumoren besitzen eine geringe Wachstumstendenz. Bei sehr frühen low grade-Tumoren kann es möglich sein, auf die Chemotherapie zu verzichten.
- „high grade“ – das sind Tumoren, die aggressiv sind, schnell wachsen und sich ausbreiten
Darüber hinaus ist der genaue Ort des Tumors am Eierstock wichtig. Ovarialkarzinome entwickeln sich aus entarteten Zellen der äußeren Gewebeschicht des Eierstocks. Daher befinden sich die Tumoren oft an der Oberfläche. Möglich ist aber auch, dass die Krebszellen ins Innere des Eierstocks wandern und dann dort zum Tumor heranwachsen. In diesem Fall ist die äußere Oberfläche des Eierstocks tumorfrei und es lassen sich keine Krebszellen finden. Im Hinblick auf die Prognose ist diese Situation günstiger und bei manchen dieser Frauen ist eine zusätzliche Chemotherapie womöglich verzichtbar.
Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel
Bei der Eierstockkrebs-Chemotherapie ist das Zytostatikum namens „Carboplatin“ die erste Wahl. Das Chemotherapeutikum führt dazu, dass sich zwischen den beiden DNA-Strängen stabile Brücken ausbilden. So verhindert Carboplatin die identische Verdoppelung der DNA (Replikation).
Die Chemotherapie mit Carboplatin erhalten Frauen mit Eierstockkrebs meist in sechs Zyklen. Das heißt: Sie bekommen das Medikament sechsmal im Abstand von drei Wochen als Infusion. Bei einem frühen Eierstockkrebs genügt oft die alleinige Behandlung mit Carboplatin. Bei fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen kombinieren Ärztinnen und Ärzte das Medikament Carboplatin mit einem Spindelgift namens Paclitaxel.
Für einige Frauen mit fortgeschrittenem Eierstockkrebs kommt zusätzlich die Behandlung mit einem Wirkstoff aus der Gruppe der Angiogenesehemmer in Betracht. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der die Bildung neuer Blutgefäße hemmt. Auf diese Behandlung sprechen Ovarialkarzinome in der Regel erst einmal gut an.
Chemotherapie bei einem Eierstockkrebs-Rückfall
Im weiteren Verlauf kann es jedoch bei Eierstockkrebs trotz zunächst erfolgreicher Krebsbehandlungen zu einem Rückfall (Rezidiv) kommen. Wächst der Tumor innerhalb von sechs Monaten nach der Carboplatin-Therapie erneut, gehen Onkologinnen und Onkologen davon aus, dass die Krebszellen unempfindlich gegenüber Platin sind. „Platin-Resistenz“ ist der Fachbegriff dafür. Kehrt der Tumor dagegen erst zu einem späteren Zeitpunkt zurück, gilt er als empfindlich gegenüber Platin oder als „platin-sensibel“.
Diese Einteilung wird allerdings heute nicht mehr so streng vorgenommen. Ärztinnen und Ärzte teilen das Rezidiv eher in platin-geeignet und nicht-platingeeignet ein. Sie überlegen, ob eine platinhaltige Chemotherapie erneut wirken könnte. Einen speziellen Marker, der dies vorhersagen könnte, gibt es nicht. Neben dem Zeitpunkt des Rezidivs spielen noch andere Faktoren eine Rolle, beispielsweise der Tumortyp oder die Art und Anzahl der vorausgegangen Krebstherapien.
Bei platin-geeigneten Rezidiven kommt erneut Carboplatin zum Einsatz. Meist wird es mit einem anderen Medikament kombiniert, zum Beispiel mit pegyliertem liposomalem Doxorubicin, Gemcitabin oder erneut Paclitaxel. Bei nicht-platingeeigneten Tumoren wählen Ärztinnen und Ärzte Zytostatika ohne Platin, zum Beispiel pegyliertes liposomales Doxorubicin (der Wirkstoff Doxorubicin ist in winzige Kügelchen „verpackt“), Topotecan, Gemcitabin oder Paclitaxel.
In Studien werden weitere Medikamente gegen Eierstockkrebs überprüft, zum Beispiel sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (engl. Antibody Drug Conjugates, ADC). Dabei wird ein Zytostatikum an einen Antikörper gekoppelt. Dieser bindet dann an eine spezielle Andockstelle (Rezeptor) auf der Oberfläche der Krebszelle. Anschließend wird das „Zellgift“ in der Krebszelle freigesetzt. Die Konzentration des Chemotherapeutikums ist in der Zelle sehr hoch. So sollen die Tumorzellen absterben. Bei metastasiertem Brustkrebs kommen ADC schon zum Einsatz. Für Eierstockkrebs sind diese Medikamente aber noch nicht zugelassen.
HIPEC: Chemotherapie im Bauchraum
Eine Chemotherapie lässt sich nicht nur als Tablette oder Infusion verabreichen, sondern auch direkt über das Bauchfell in den Bauchraum. Die „Hypertherme intraperitoneale Chemotherapie“ (HIPECI) ist ein Verfahren, bei dem Zytostatika erwärmt und dann in den Bauchraum (intraperitoneal) gegeben werden.
Ärztinnen und Ärzte können diese Art der Chemotherapie während der Eierstockkrebs-Operation verabreichen, wenn der Bauchraum geöffnet ist. Grundsätzlich lässt sich eine HIPEC aber auch zu einem späteren Zeitpunkt anwenden. Meist wird in diesem Fall ein sogenannter „Port“ unter die Haut implantiert. Er lässt sich von außen mit einer Nadel anstechen und mit dem (in diesem Fall nicht erwärmten) Medikament beschicken. Über einen Katheter gelangt das Zytostatikum aus dem Port in den Bauchraum.
Die Idee klingt im Grunde einleuchtend, die Chemotherapie direkt an den Ort des Krebsgeschehens zu bringen – bei Eierstockkrebs also in den Bauchraum. Das Spülen des Bauchraums mit einem Zytostatikum könnte die Chancen erhöhen, eventuell nach der Operation verbliebene Krebszellen oder Krebszellkolonien zu erwischen und auszuschalten.
Klinische Studien konnten diesen möglichen Nutzen aber noch nicht eindeutig nachweisen. „Bisher liegen keine überzeugenden Daten vor, die den Einsatz von HIPEC bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom rechtfertigen“, schreiben die Autorinnen und Autoren der Leitlinie „Eierstockkrebs“. HIPEC ist deshalb im Moment eine rein experimentelle Methode bei Eierstockkrebs.
Forschungsgruppen führen aber derzeit weitere Studien zur Behandlung mit erwärmten Zytostatika durch. Sie sollen neue Erkenntnisse bringen, ob HIPEC eine Verbesserung der Therapie oder ein Irrweg ist.
- Eine Studie (Lancet Oncology, 9/2023) ergab, dass Frauen mit einem lokal fortgeschrittenen Eierstockkrebs von einer angewärmten Chemotherapie über den Bauch zusätzlich zur Operation profitieren könnten, und zwar auch langfristig.
- Die Frauen wurden über zehn Jahre beobachtet.
- In der HIPEC-Gruppe schritt der Tumor bei weniger Frauen weiter voran, weniger erlebten einen Rückfall und es starben auch weniger als in der Gruppe, die keine HIPEC erhalten hatte.
Chemotherapie bei Eierstockkrebs vor der OP?
Eine Chemotherapie lässt sich vor der Operation (neoadjuvant) oder nach einer OP (adjuvant) verabreichen. Die neoadjuvante Chemotherapie hat das Ziel, den Tumor zu verkleinern, um ihn so besser operieren zu können. Die Chemo vor der OP kommt schon bei einigen Krebsarten zum Einsatz, zum Beispiel bei Brustkrebs. Bösartige Brusttumoren lassen sich so weit „einschmelzen“, dass danach eine schonendere Operation bei gleich guter Prognose möglich ist. Gleichzeitig erhält das Behandlungsteam einen sofort sichtbaren Nachweis, dass die eingesetzte Chemotherapie wirksam ist – der Tumor schrumpft.
Bei Eierstockkrebs ist die Wirksamkeit der neoadjuvanten Chemotherapie noch nicht in Studien nachgewiesen. Bei einem Ovarialkarzinom ist nicht unbedingt die Größe des Tumors das Hauptproblem, sondern die besondere Art der Ausbreitung. Eierstockkrebs kann eine Vielzahl örtlicher Krebsabsiedlungen bilden, die in der Regel nur wenige Millimeter groß sind (zum Beispiel auf Bauchfell, Zwerchfell, Leber, Milz).
Bei einer neoadjuvanten Chemotherapie, die der Operation vorgeschaltet ist, ist zwar anschließend oft weniger sichtbare Tumormasse vorhanden. Allerdings ist es fraglich, ob das angesichts der besonderen Art der Tumorausbreitung wünschenswert ist. Denn: Das Schrumpfen der ohnehin schon kleinen Krebsabsiedlungen könnte die Arbeit der Operateurinnen und Operateure erschweren. Das Ziel – nämlich die restlose Entfernung aller Tumorherde – könnte so in Gefahr geraten. Diese Befürchtung steht zumindest im Raum.
Aussagefähige Studien zur Frage der neoadjuvanten Chemotherapie bei Eierstockkrebs liegen bislang nicht vor. Deswegen ist sie auch keine Standardtherapie. Allerdings wird auch hieran geforscht.
Chemotherapie besitzt Nebenwirkungen
Zytostatika sind unspezifische Zellgifte – das heißt, sie wirken nicht nur auf Krebszellen. Das bekommen vor allem die gesunden Körperzellen zu spüren, die sich häufig teilen. Zu diesen gehören zum Beispiel blutbildende Zellen, Haarfollikel (daher der Haarausfall) und Schleimhautzellen. Die meisten Nebenwirkungen der Zytostatika sind darauf zurückzuführen, dass Zellen mit hoher Teilungsaktivität geschädigt werden.
Viele fürchten sich zum Beispiel vor Übelkeit und Erbrechen. Allerdings gibt es heute sehr wirksame Medikamente, die vorbeugend zum Einsatz kommen (Antiemetika). Zu beachten ist auch, dass auch Unruhe, Ängste und negative Erwartungshaltungen Übelkeit hervorrufen können. Wenn diese Faktoren bei einem Menschen eine Rolle spielen könnten, hat es sich bewährt, am Abend vor der Chemotherapie und/oder am Morgen vor der Infusion ein Beruhigungsmittel einzunehmen.
Manche Nebenwirkungen sind – in unterschiedlichem Ausmaß – allen Zytostatika gemeinsam. Darüber hinaus gibt es Nebenwirkungen, die typisch für ein Chemotherapeutikum sind.
Carboplatin kann zum Beispiel die Nieren schädigen. Dagegen lässt sich meist etwas tun:
- Wichtig ist es, während der Behandlung sehr viel zu trinken, damit die Nieren gut „durchgespült“ werden.
- Engmaschige Laboruntersuchungen zeigen, wie gut die Nierenwerte sind. Verschlechtern sich diese, können Ärztinnen und Ärzte rasch reagieren, zum Beispiel die Dosis anpassen.
Paclitaxel kann andere Nebenwirkungen hervorrufen. Im Blick haben Ärztinnen und Ärzte besonders die Schädigung von Nerven (Polyneuropathie).
- Sie macht sich meist zuerst durch Missempfindungen in den Fingern und Zehen bemerkbar. Ein pelziges Taubheitsgefühl in den Fingerspitzen ist ein typisches Frühsymptom einer solchen Neuropathie.
- Bei Anzeichen einer ausgeprägten Neuropathie wählen Ärztinnen und Ärzte eventuell ein anderes Zytostatikum.
- Sie versuchen, auch langfristig möglichst auf den Einsatz von Paclitaxel zu verzichten.
Weitere Tipps für Frauen mit Eierstockkrebs, die sich einer Chemotherapie unterziehen:
- Wichtig sind ausreichende Informationen, welche Nebenwirkungen grundsätzlich auftreten können (aber nicht müssen).
- Frauen sollten auch wissen, ob sie vorbeugend etwas tun können und wie sie reagieren sollten, wenn bestimmte Nebenwirkungen eintreten.
- Auch Informationen, worauf sie selbst achten sollten und was sie während der Chemotherapie für sich selbst tun können, sind oft hilfreich.
Informationen und Wissen sind ein gutes Mittel zur „Therapietreue“ (Compliance). Wenn die Chemotherapie durchgeführt und nicht abgebrochen wird, unterstützt dies den Behandlungserfolg.
Textvorlage:
Prof. Dr. Sven Mahner
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
LMU Klinikum München
Campus Großhadern und Innenstadt
Marchioninistraße 15
81377 München
- S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Ovarialtumoren, Stand: Mai 2022 (in Überarbeitung), abgerufen am 22.8.2024
- Patientinnenleitlinie „Eierstockkrebs“, abgerufen am 22.8.2024
- Deutsche Krebshilfe, Krebsarten, Eierstockkrebs, abgerufen am 22.8.2024
- Deutsche Krebsgesellschaft, Basisinformationen Krebs, Eierstockkrebs, abgerufen am 22.8.2024
- Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Eierstockkrebs, abgerufen am 20.8.2024
- Deutsche Stiftung Eierstockkrebs, über Eierstockkrebs, abgerufen am 22.8.2024
- Krebsliga Schweiz, Krebsarten, Eierstockkrebs, abgerufen am 22.8.2024
- Robert Koch-Institut (RKI), Eierstockkrebs, abgerufen am 22.8.2024
- Aronson SL et al. Cytoreductive surgery with or without hyperthermic intraperitoneal chemotherapy in patients with advanced ovarian cancer (OVHIPEC-1): final survival analysis of a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Oncology, Onlinevorabveröffentlichung am 11. September 2023, https://doi.org/10.1016/S1470-2045(23)00396-0
Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Informationen verständlich zu vermitteln. Die Informationen können jedoch eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.