Chemobrain

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Brustkrebspatientinnen sehnen das Ende der belastenden Behandlung meist sehr herbei, aber wenn es endlich soweit ist, finden sich viele in einer schwierigen Situation wieder.

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Die engmaschige medizinische Betreuung, die Sicherheit vermittelt, endet von einem Tag auf den anderen – und Familienmitglieder, Freunde, Kollegen und Vorgesetzte erwarten, dass bald die volle Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist. Alles soll wieder so sein wie früher – aber das gelingt vielen Patientinnen nicht. Sie sind vergesslich und können sich nicht konzentrieren, sie brauchen für alles mehr Zeit und müssen bei schwierigen Aufgaben aufgeben. Es liegt nahe, solche kognitiven Probleme auf die Chemotherapie mit ihren drastischen, unüberschaubaren Nebenwirkungen zurückzuführen – das Phänomen erhielt den Namen „Chemobrain“. Was sagen wissenschaftliche Untersuchungen dazu?

Studien bringen Theorie ins Wanken

Erste Studien bestätigten den Eindruck der Patientinnen: Tatsächlich wurden nach einer Chemotherapie neuropsychologische Defizite wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme festgestellt. Allerdings war immer nur ein Teil der Patientinnen davon betroffen, und sonderbarerweise waren das nicht die gleichen Frauen, die solche Störungen auch selbst bei sich wahrnahmen. Neuere, größere und methodisch bessere Studien brachten die Vorstellung vom Chemobrain ins Wanken: Schon vor Beginn jeder Brustkrebstherapie fanden sich kognitive Störungen. In einer Studie unserer Arbeitsgruppe zeigte fast ein Drittel der Patientinnen schon vor Behandlungsbeginn auffällig schlechte kognitive Leistungen. Während der Chemotherapie hielten sich Verbesserungen und Verschlechterungen die Waage. In anderen großen Studien wurden keine oder nur geringfügige kognitive Verschlechterungen nach einer Chemotherapie festgestellt, und die waren bald wieder verschwunden.

Konzept Chemobrain nicht eindeutig nachweisbar

Andererseits wurde eine toxische Wirkung bestimmter Zytostatika zwar nicht auf die Nervenzellen selbst, aber auf andere Zelltypen des Gehirns nachgewiesen – im Laborexperiment und bei Mäusen. Zudem lösten Mäuse ihre Aufgaben (zum Beispiel den Weg durch ein Labyrinth suchen) meist schlechter, wenn sie Zytostatika erhalten hatten; einige „Chemomäuse“ allerdings wurden sogar besser. Mit bildgebenden Verfahren wurden Unterschiede in den Aktivierungsmustern des Gehirns bei Patienten mit und ohne vorangegangener Chemotherapie gefunden, aber die Unterschiede könnten auch zufällig sein. Es ist unklar, welche Bedeutung die Ergebnisse all dieser Versuche, das Konzept des Chemobrains zu bestätigen, für Patientinnen „im wirklichen Leben“ tatsächlich haben.

Angst und Depressionen beeinflussen kognitive Leistung

Sicher ist aber: Chemotherapie ist möglicherweise ein Auslöser von – eher milden kognitiven Störungen bei Krebspatienten, bestimmt aber nicht der einzige. Und: Frauen, die über kognitive Probleme klagen, haben nicht häufiger nachweisbare neuropsychologische Defizite als Frauen, die sich kognitiv unbeeinträchtigt fühlen sehr viele Studien haben übereinstimmend gezeigt, dass subjektive kognitive Beschwerden nach einer Krebsbehandlung nicht mit nachweisbaren neuropsychologischen Störungen, sondern mit Angst und Depressivität zusammenhängen.

Dr. rer. biol. hum. Kerstin Hermelink

Diplom-Psychologin, Psychoonkologin (PSO/DKG)
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Direktion Klinikum der LMU München
Marchioninistraße 15
81377 München

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