Therapieansatz mit zielgerichteter Wirkung

Therapieansatz mit zielgerichteter Wirkung
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Tumorzellen gezielt angreifen – mit maximalem Effekt auf die Krebszelle und minimalem Effekt auf den restlichen Körper – das ist das Ziel moderner Krebsforschung und -behandlung. Eines dieser Therapieprinzipien sind die sogenannten Antikörper-Wirkstoff-Konjugate.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelingt es immer besser zu verstehen, welche Mechanismen sowohl bei der Entstehung als auch bei der Behandlung von Krebs eine Rolle spielen. So wurden und werden durch die zunehmende Entschlüsselung, die Sequenzierung, von Tumorzellen immer neue Zielstrukturen entdeckt und Therapiekonzepte entwickelt, etwa zielgerichtete Therapien mit sogenannten Antiköpern. Diese können an unterschiedliche Strukturen – zum Beispiel an speziellen Rezeptoren auf der Oberfläche von Tumorzellen – binden und durch verschiedene molekulare Mechanismen zum Absterben dieser Zellen führen.

Trotz all dieser Fortschritte ist die Chemotherapie bei vielen Krebsarten weiterhin eine wichtige Säule in der Behandlung. Hier greifen Zellgifte, sogenannte Zytostatika, Zellen in der Teilungsphase an und zerstören sie oder halten zumindest deren Wachstum auf. Dies geschieht in allen sich schnell teilenden Zellen im Körper, was zu teils erheblichen Nebenwirkungen führen kann. Ein weiterer Nachteil der Chemotherapie: Die eingesetzten Medikamente können aufgrund ihrer zum Teil. starken Nebenwirkungen in manchen Fällen nicht so hoch dosiert werden, wie es für eine optimale Wirksamkeit wünschenswert wäre.

Deshalb entwickelten Forschungsteam schon vor einigen Jahrzehnten die Idee einer Therapie, die gezielt in den Tumorzellen wirkt. Dazu koppelten sie die Chemotherapeutika an einen Antikörper. Auch wenn die ersten Studien mit diesen neuartigen Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (engl. antibodydrug- conjugates, abgekürzt ADC) nicht erfolgreich waren, so wurde das Prinzip weiterverfolgt – bis sich schließlich Erfolge zeigten. Mittlerweile sind in Deutschland mehr als zehn dieser ADCs für verschiedene Tumorerkrankungen
zugelassen.

Aufbau der neuen Medikamente

ADCs bestehen aus drei Teilen: einem Antikörper, einem chemo-therapeutischen Wirkstoff und einem Linker, der den Antikörper und den Wirkstoff miteinander verbindet. Der Antikörper bindet an spezifische Strukturen, die sogenannten Rezeptoren, auf der Tumorzell-oberfläche. Nach erfolgter Bindung wird der ADC in die Tumorzellen aufgenommen, wo die Chemotherapie freigesetzt wird und die Tumorzelle schädigt. Dieser gezielte Ansatz fördert den selektiven Angriff gegen bösartige Zellen. Die Chemotherapie kann durch diesen Ansatz zielgerichteter wirken als bei einer herkömmlichen Chemotherapie.

 

So erklärt sich die in der Regel verbesserte Wirkung der ADCs gegenüber herkömmlichen Chemotherapien.
Durch die Bindung des Antikörpers an den Rezeptor gelangt die Chemotherapie direkt in die Krebszelle und schädigt sie.

Keine Therapie ohne Nebenwirkung

Der Traum, eine Substanzklasse zu entwickeln, die nur die Tumorzellen, nicht aber andere Körperzellen schädigt, hat sich aber auch mit den ADCs nicht ganz erfüllt. Viele der beobachteten Nebenwirkungen der bisher zugelassenen ADCs sind vergleichbar mit denen herkömmlicher Chemotherapien. Es gibt aber auch Nebenwirkungen, die unter einer Chemotherapie nicht beobachtet wurden. Betrachtet man jedoch
die verbesserte Wirkung, zum Beispiel in Bezug auf das Gesamtüberleben oder das Überleben ohne ein Fortschreiten der Erkrankung, überwiegt der Nutzen den möglichen Schaden, die sogenannte therapeutische Breite ist größer. Die häufigsten schweren Nebenwirkungen sind Veränderungen des Blutbilds (Hämatotoxizität) wie die Verminderung der Anzahl einer Untergruppe der weißen Blutzellen (Neutropenie), die Verminderung der Zahl der Blutplättchen (Thrombozytopenie), eine verminderte Anzahl von weißen Blutzellen (Leukopenie) oder eine verminderte Zahl der roten Blutkörperchen beziehungsweise ein niedriger Hämoglobinspiegel (Anämie). Dazu kommen Nebenwirkungen im Verdauungstrakt wie Durchfall, Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen. Die Therapie kann sich auch belastend auf die Leber auswirken (Hepatotoxizität). Weiterhin führen einige ADCs auch zu einem vollständigen Haarausfall oder zu einer Fatigue, einem Zustand extremer Erschöpfung.
Im Rahmen der die Therapie mit ADCs kann es ebenfalls zu Interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD) kommen. Sie betreffen das Lungengewebe und die Lungenbläschen und können unbehandelt zu einer Verbnarbung der Lunge, einer Fibrose, führen. Symptome, die auf eine ILD hindeuten können, sind unspezifischer Husten, Fieber, Kurzatmigkeit und Atemnot. Auch kann bei bestimmen ADCs eine Trübung
der Augen auftreten, welche zu einem verschwommenen Sehen führen kann.¹

Supportivmedizin für ein erfolgreiches Nebenwirkungsmanagement

Ob Veränderungen des Blutbilds, Probleme mit dem Verdauungstrakt, den Augen oder der Lunge: Wichtig
ist, dass Patientinnen und Patienten vor Beginn der Therapie umfassend von ihrem Behandlerteam über die möglichen Nebenwirkungen ihrer Therapie aufgeklärt werden. Hier spielt aber auch die Erfahrung der Ärztinnen und Ärzte mit den eingesetzten Substanzen eine entscheidende Rolle. Oft lassen sich Nebenwirkungen durch die sogenannte Supportivmedizin, die fester Bestandteil der Behandlung sein sollte, vorbeugen oder abmildern.

So können zum Beispiel schon vor Beginn der Therapie Medikamente verabreicht werden, die gezielt
gegen Übelkeit und Erbrechen helfen, sogenannte Antiemetika. Gegen die Trübung der Augen kann die regelmäßige Anwendung von Augentropfen helfen, um die Augen feucht zu halten.² Besteht der Verdacht auf eine Interstitielle Lungenerkrankung, müssen sich die Patientinnen und Patienten umgehend an das Behandlungsteam wenden, das dann die weiteren Schritte einleiten kann. Gut zu wissen: Das Auftreten und die Häufigkeit der hier genannten Nebenwirkungen ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Ob und wie eine Nebenwirkung im Einzelfall auftritt, lässt sich nicht vorhersagen. Wichtig ist aber, sich im Vorfeld zu informieren, die Symptome zu kennen und sich beim Auftreten von Symptomen oder
ungewöhnlichen Anzeichen an sein Behandlerteam zu wenden. •

1, 2 Kathleen N. Moore et al.,Phase III MIRASOL (GOG 3045/ENGOT-ov55) study: Initial report of mirvetuximab soravtansine vs. investigator‘s choice of chemotherapy in platinum-resistant, advanced high-grade epithelial ovarian, primary peritoneal, or fallopian tube cancers with high folate receptor-alpha expression. JCO 41, LBA5507-LBA5507(2023).DOI:10.1200/
JCO.2023.41.17_suppl.LBA5507

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