Du siehst ja ganz normal aus!“ Als Nicoletta Prevete im Winter 2017 diesen Satz aus dem Mund einer ihrer engsten Bekannten hört, hat sie die Nase voll, sagt sie. „Ich war es leid, auf eine Krankheit reduziert zu werden. Die meisten dachten wohl, ich müsse ausgemergelt, mit dunkellila Ringen unter den Augen und Oma-Kopftuch auf dem nackten Schädel rumlaufen!“, erinnert sich die heute 52-Jährige.
Als persönliches, digitales Tagebuch gestartet
Da entstand ihre Idee zum Foto-Projekt SEIDEINFREUND. Zunächst war der Blog wie ein digitales Tagebuch aufgebaut. Die Journalistin beschrieb eher ironisch ihre Erfahrungen mit Ärzten, Krankenschwestern, Familie und Freunden. Sie sinnierte über blöde Sprüche des medizinischen Personals („Ärzte-Bull-Shit-Bingo“) und ungebetene Tipps. Aber sehr schnell war da der Wunsch, durch ein Fotoprojekt mit vielen Vorurteilen, die immer wieder gegenüber erkrankten Frauen geäußert werden, aufzuräumen, erzählt Nicoletta Prevete.
Frauen schön und stark zeigen
„Ich wollte die Frauen stolz, schön, stark, mutig zeigen und nicht mit den üblichen Glatzen- und Kopftuchbildern“, erinnert sie sich. Erst fünf Jahre später, längst genesen, findet die Journalistin zufällig die richtige Partnerin für ihre Idee. „Die Porträt-Fotografin Annette Mück und ich hatten genau dieselbe Vorstellung, wie wir die Frauen poträtierten wollten. Nämlich in großer Robe, hoch erhobenen Hauptes und voller Selbstvertrauen“, so Nicoletta Prevete. Auch in Annette Mücks Kopf, deren Erkrankung bereits zehn Jahre zurückliegt, spukte schon seit Jahren der Wunsch im Kopf herum „Man müsse da doch mal was machen…“.
Individuelle Porträts
Schon wenige Wochen nach dem ersten Treffen zwischen der Journalistin und der Fotografin, beide aus Mannheim, gingen die ersten Shootings los. Annette Mück begann mit einer ihrer besten Freundinnen, Domenica Vecchio . Die 49-jährige Ludwigshafenerin ließ sich in ihrem Lieblingsbadesee fotografieren, den sie trotz Badeverbot während der Bestrahlung regelmäßig besuchte.
Frauen werden ihre Geschichten auf den Laib geschneidert
Das Konzept des Projektes ist klar und einfach und doch voller Power. Mit im Boot ist die Mannheimer Designerin Regine Maier. Sie entwirft die Kleidung der Frauen für das Shooting. Ihre persönlichen Geschichten werden den Frauen sozusagen auf den Laib geschneidert. Bei Domenica Vecchio war es ein Kleid aus Badeanzugstoff, auf den die Markierungen draufgemalt waren, die die Betroffenen auch während der Strahlentherapie auf den Körper gezeichnet bekommen. Die Visagistin Kerstin Schmeing ist die Vierte im Bunde. Sie sorgt vor den Shootings für den perfekten Haar- und Makeup-Look der Frauen.
Sehr großes Interesse am Projekt
Das Kleeblatt, wie Regine Maier die vier Frauen nennt, hat schon elf Frauen porträtiert (Stand 11.07.2023). Zu sehen sind die sehr individuellen und ausdruckstarken Porträts auf dem Blog Seideinfreund und auf Instagram seideinfreund_22. Doch das Projekt kann sich vor Interessierten kaum retten. „Aktuell haben wir über 60 Anfragen von Frauen, die sich gerne porträtieren lassen würden“, erzählt Annette Mück. „Wir werden alle fotografieren. Aber es dauert eben. Wir sind alle berufstätig und haben Familie. Da wir das neben unseren Jobs machen, geht es eben nur Stück für Stück“, erklärt die People-Fotografin.
Große Bandbreite an Frauenporträts
Wichtig ist es dem SEIDEINFREUND-Team zu betonen, dass eine große Bandbreite an Frauen fotografiert werden: jüngere und ältere, berufstätige und studierende, wieder genesene oder Frauen, die noch mitten in der Therapie stecken – aber auch Frauen, die metastasierten Brustkrebs haben und die palliativ behandelt werden. „Wir wollen den Frauen Mut machen. Sie sollen durch diesen Shooting-Tag gestärkt und voller Selbstvertrauen wieder in ihren Alltag zurückkehren. Und beim Blick auf ihr Foto sagen ‚Wow das bin ich! Und ich bin mächtig stolz auf mich‘. Dafür geben wir vier alles“, unterstreicht Nicoletta Prevete.
Porträts als Mutmacher
Und die Fotos sollen dann natürlich auch anderen Frauen Mut machen, wenn sie sehen und lesen, wie eine jede Frau, ganz individuell aber doch immer mit großer Stärke ihren Weg gegangen ist und geht – trotz Krankheit – oder gerade wegen ihr. „Ich bin nicht mehr die, die ich vor der Krankheit war. Aber das ist auch gut so“, betont zum Beispiel Domenica Vecchio. „Ich gehe jetzt viel bewusster und positiver durchs Leben“. Und das wünscht sich das SEIDEINFREUNDKleeblatt natürlich für alle Frauen, die sie bereits porträtiert haben und noch porträtieren werden. •
Von Gastautorin Nicoletta Prevete
SEIDEINFREUND im Netz
www.seideinfreund.blog
seideinfreund_22
Was für ein schönes Projekt. Ich finde mich total wieder. Immer wieder höre ich “Das sieht man Die ja gar nicht an“ oder “Dafür siehst Du aber super aus!“
Wie muss ich denn aussehen, als beidseitig mastektomierte, zweimal an Brustkrebs erkrankte Frau?
Schöne Fotos! Danke für diesen Beitrag.