Chemotherapie: Was uns die Blutwerte sagen

GettyImages-523184134_Blutwerte_Chemo_ArtikelBild
© gettyimages / Bet_Noire
Print Friendly, PDF & Email

Regelmäßige Blutkontrollen werden während einer Chemotherapie zur Routine: Die Therapie greift nicht nur Krebszellen an, sondern auch andere sich schnell teilende Zellen. Werden Zellen des Blutes geschädigt, kann das Blut aus dem Gleichgewicht geraten.

Print Friendly, PDF & Email

Damit das nicht passiert, haben Onkologen einen besonderen Blick auf die Blutwerte und greifen gegebenenfalls ein. Worauf besonders zu achten ist, erklärt Dr. med. Carlo Fremd, Oberarzt Medizinische Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

Mamma Mia!: Herr Dr. Fremd, welche Blutwerte haben Sie während einer Chemotherapie besonders im Blick?

Dr. Carlo Fremd: Grundsätzlich müssen wir alle Blutwerte im Blick haben, denn jede Veränderung über die normalen Grenzen hinaus kann schwerwiegende Folgen für unsere Patientinnen und Patienten haben. Es hängt ferner von der Art der Therapie ab, welche Blutzellen am ehesten geschädigt werden. Manche Therapie kennen wir seit langer Zeit aus unserem Alltag, zu neueren Therapien erhalten wir wichtige Informationen aus klinischen Studien, in denen Nebenwirkungen sorgfältig aufgezeichnet werden.

Mamma Mia!: Wann besteht Handlungsbedarf?

Dr. Carlo Fremd: Regelmäßig vorkommend und auch bedrohlich ist ein Abfall der weißen Blutkörperchen, weil dadurch das Immunsystem geschwächt wird. Hier spielt eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die neutrophilen Granulozyten eine große Rolle. Ist ihre Anzahl im Blut zu gering, steigt das Risiko für eine sogenannte „febrile Neutropenie“. „Febril“ steht hier für „fiebrig“ und damit als Zeichen einer Infektion, die Wortendung „-penie“ zeigt den „Mangel“ an neutrophilen Granulozyten an. Das unglückliche Zusammen spiel von Infektion und Neutropenie kann zum Tode führen. Deshalb müssen wir auf eine ausreichende Zahl weißer Blutkörperchen besonders achten. Das erreichen wir entweder durch eine prophylaktische Gabe von sogenannten Wachstumsfaktoren, die die Bildung von weißen Blutkörperchen im Knochenmark anregen, oder durch eine Dosisreduktion beziehungsweise Therapiepause. Diese wird bei gängigen Chemotherapien dann angeordnet, wenn die neutrophilen Granulozyten unter 1.500/μ (=pro Mikroliter) sinken (bei einer Kombinations- oder 1.000/μ (=pro Mikroliter) bei einer Monochemotherapie).

Da Fieber ein erstes Anzeichen für eine febrile Neutropenie ist, sollten sich Patientinnen und Patienten umgehend bei ihrem behandelnden Arzt melden, wenn die Temperatur einmalig 38,5 Grad erreicht oder übersteigt (oder ≥ 38,3° über mindestens eine Stunde). Allerdings können auch andere Symptome einer Infektion eine febrile Neutropenie anzeigen und sollten ebenfalls rückgemeldet werden.

Der Abfall roter Blutkörperchen führt zu einer schlechteren Sauerstoffversorgung im Körper und dadurch zu Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit. Bei einem Hämoglobinwert (Hb) von unter 10 g/dl (=Gramm pro Deziliter) wird dieser Mangel für unsere Patientinnen und Patienten spürbar und es sollte herausgefunden werden, welche Ursache vorliegt. Neben der häufigen Blutarmut als Nebenwirkung der Chemotherapie sollten auch andere Ursachen, wie ein Eisenmangel, ausgeschlossen werden.

Eine Bluttransfusion wird dann durchgeführt, wenn die Symptome ausgeprägt sind oder ein sehr niedriger Hämoglobin Wert gemessen wird (<8 g/dl). Die Thrombozyten, also Blutplättchen, behalten wir ebenfalls sorgfältig im Blick, da durch deren Abfall eine akute Blutungsgefahr auftreten kann. Dabei kann es sich auch um innere Blutungen handeln, die wir unter Umständen nicht sofort erkennen können. Fällt ihr Wert unter 100.000/μl, werden Blutungszeichen überprüft und der weitere Verlauf der Blutwerte engmaschig kontrolliert. Eine Transfusion von Thrombozyten ist selten notwendig und wird bei aktiven Blutungen oder sehr niedrigen Werten (<20.000/μl) durchgeführt.

Mamma Mia!: Gibt es andere Laborwerte,  die relevant sind?

Dr. Carlo Fremd: Ja, da gibt es noch eine Menge anderer Werte, wobei es therapieabhängig ist, welche Werte von besonderem Interesse sind. Uns interessieren beispielsweise Leber- und Nierenwerte, da viele
Chemotherapien über diese Organe verstoffwechselt und auch ausgeschieden werden. Es besteht daher ein direkter Zusammenhang zwischen Organfunktion und Verträglichkeit der Therapie. Bei der Durchführung von Immuntherapien (Immuncheckpoint-Blockade) sind auch die Schilddrüsenwerte zu überwachen, um ein weiteres Beispiel zu benennen.

Die Zusammensetzung des Blutes

Neben dem Blutplasma, einer Flüssigkeit aus Wasser und verschiedenen Eiweißen, setzt sich das Blut aus drei verschiedenen Arten von Blutkörperchen zusammen.

Erythrozyten – Die roten Blutkörperchen
Die roten Blutkörperchen machen 99 Prozent aller Blutzellen aus. Ihre Aufgabe ist es, Sauerstoff von der Lunge in andere Körperzellen zu transportieren. Sie bestehen zum größten Teil aus dem roten Blutfarbstoff
Hämoglobin (Hb).

Leukozyten – Die weißen Blutkörperchen
Die weißen Blutkörperchen machen nur etwa ein Prozent der Blutkörperchen aus. Für die Funktion des Immunsystems spielen sie jedoch eine entscheidende Rolle. Sie haben die Aufgabe, Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder Pilze abzuwehren. Sie werden in Hauptgruppen unterteilt: Granulozyten (neutrophile, eosinophile, basophile), Monozyten und Lymphozyten, wobei die Granulozyten, die sogenannten Fresszellen, am häufigsten vertreten sind. Neutrophile Granulozyten, auch Neutrophile genannt, machen den größten Anteil der Leukozyten aus.

Thrombozyten – Blutplättchen
Blutplättchen spielen eine große Rolle bei der Blutgerinnung. Wird ein Blutgefäß verletzt, setzen sie gerinnungsfördernde Stoffe frei, heften sich an Wundränder und verschließen diese. 

Dr. Carlo Fremd

Oberarzt Medizinische Onkologie
Facharzt Innere Medizin / Hämatologie / Onkologie Nationales Centrum für Tumorerkrankungen  (NCT)/ Universitätsklinikum Heidelberg  (UKHD)/ Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg
Tel.: +49 (0)6221 56-4801
E-Mail: carlo.fremd@med.uni-heidelberg.de

Kommentar • 1
Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Interessante Artikel der gleichen Kategorie