Die Basis wissenschaftlichen Fortschritts

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Klinische Studien dienen dazu, herauszufinden, ob ein neuer Wirkstoff besser ist als der Standard. Wie Studien aufgebaut sind, wie die Teilnahme funktioniert und wo man sich über laufende Studien informieren kann, fasst Mamma Mia! Hier zusammen.

Klinische Studien sind ein wichtiges Instrument der klinischen Forschung, sie sind die Basis wissenschaftlichen Fort­schritts. Für ihre Durchführung werden Patienten gesucht, die an den Studien teilnehmen. Eine solche Teilnahme ist immer freiwillig und kann jederzeit beendet werden. Die Teilnahme an einer klinischen Studie bringt grundsätzlich keine Nachteile für die Teilnehmer, sondern eher Vorteile: Sie werden im Rahmen einer solchen Studie entweder nach dem aktuellen Standard behandelt mit dem Unterschied, dass die Betreu­ung sehr viel intensiver ist als in der täglichen Klinikroutine. Oder aber sie haben die Möglichkeit, mit einem neuen Wirkstoff behandelt zu werden, was ein Vorteil sein kann, aber nicht muss. Das ist genau der Sinn einer Studie: Heraus­zufinden, ob ein neuer Wirkstoff besser ist als der Standard. Grundsätzlich soll­ten sich Interessierte ausführlich über eine Studienteilnahme informieren.

Die Planung einer Studie

Je nach Fragestellung gibt es unter­schiedliche Studienarten, auch „Design“ genannt. Die Wissenschaftler entschei­den von Fall zu Fall, welche Studienform gewählt wird. So gibt es beispielsweise prospektive und retrospektive Unter­suchungen. Die prospektive Studie wird im Voraus geplant, so können alle Messgrößen festgelegt werden. Bei der retrospektiven Studie werden Daten ana­lysiert, die vor Beginn der Untersuchung erhoben wurden. Die nächste Frage ist, ob eine Placebo kontrollierte Studie durchgeführt werden kann. Bei Placebo kontrollierten Studien wird immer der Goldstandard mit einer experimentellen Therapie ver­glichen. Stellt sich nun im Studienver­lauf heraus, dass die Teilnehmerinnen von der experimentellen Therapie einen wesentlich größeren Nutzen haben, wird diese auch der Vergleichsgruppe angeboten. Ein unabhängiges Komitee, bestehend aus Ärzten und Patienten­vertretern, prüft regelmäßig, ob der Standard noch aktuell ist. Ansonsten wird nachträglich korrigiert, was für Wissenschaftler problematisch ist. Hier zählen jedoch ethische Gesichtspunkte. Ist die Erwartung an die experimentelle Therapie sehr hoch, können mehr Teilnehmer den Wirkstoff statt Placebo bekommen. In manchen Studien ist das Verhältnis 2:1. Auch die „Verblindung“ ist ein Entscheidungsfaktor. Diese ist dann gegeben, wenn weder der Patient noch der Arzt weiß, welches Medikament zum Einsatz kommt.

Statistiker berechnen schließlich, welche „Fallzahlen“ zur Beantwortung der Fragestellung gebraucht werden. Die benötigte Fallzahl, also die Anzahl der Patienten in einer Studie, ist von der Fragestellung abhängig. Soll beispiels­weise eine Aussage über Überlebens­zahlen ermittelt werden, ist die Fallzahl höher als bei einer Studie, in der das Ansprechen auf eine bestimmte Thera­pie untersucht wird. In Phase­-II­-Studien wird zum Beispiel untersucht, ob eine Therapie überhaupt Wirkung zeigt. Dafür werden eher weniger Teilnehmer benötigt. Will man dann jedoch mittels einer Phase­-III-­Studie den Beweis erbringen, dass Betroffene von einer neuen Therapie tatsächlich profitieren, werden sehr viele Teilnehmer benötigt. Die Teilnehmerzahlen schwanken je nach Fragestellung von etwa 50 bis 10.000.

Aus der Fallzahl leiten sich dann auch die Kosten einer klinischen Studie ab. Diese belaufen sich auf rund 3.000 bis über 20.000 Euro pro Studienteilneh­mer. Ein großer Teil der Kosten entsteht durch Genehmigungsverfahren, die Ethikkommission, Versicherungen und andere bürokratische Verpflichtungen. Die Gesamtkosten für eine Studie können also deutlich über einer Milliarde Euro liegen. Daher unterliegen neue Medikamente einem Patentschutz, damit die Entwicklungskosten wieder erwirtschaftet werden können.

Die Phasen klinischer Studien

Die Entwicklung eines neuen Medika­ments von der ersten Idee bis zur Zu­lassung dauert viele Jahre. Diese lange Zeit ergibt sich aus den verschiedenen Studienphasen, die ein Medikament durchläuft.

Phase-I-Studie: In dieser frühen Phase der klinischen Forschung, an der nur etwa zehn Probanden teil­nehmen, wird untersucht, welche Wirkung eine neue Substanz überhaupt beim Menschen hat. Dabei achten die Wissenschaftler besonders auf mögliche Nebenwirkungen.

Phase-II-Studie: In diesem zweiten Schritt wird nun die Sicherheit und Wirksamkeit überprüft. Dabei werden unterschiedliche Dosierungen einge­setzt, um Unterschiede in der Wirksam­keit zu überprüfen und so das sicherste und wirksamste Therapieschema zu ermitteln. In dieser Phase nehmen etwa 20 bis 300 Probanden teil.

In Phase-III-Studie: Erst jetzt kommt die Entwicklung des Medikaments in die entscheidende Phase, denn nun muss die Sicherheit und Wirksamkeit einer großen Probandengruppe bestätigt wer­den. An einer Phase­III­Studie nehmen rund 300 bis 3.000 Patientinnen und Patienten teil. Das Medikament wird nun in einem oder mehreren Studienarmen etablierten Behandlungsformen gegen­übergestellt. Das Ergebnis dieser Studie ist zulassungsrelevant.

Phase-IV-Studien: Diese Studien werden auch „Post­Marketing Surveillance Trials“ genannt, sie werden nach der Zulassung eines Medikaments durchgeführt. So sollen umfassendere Informationen über das Medikament generiert werden.

 

Der Aufbau medizinscher Studien

Wie aber sind diese Studien aufgebaut und welche Unterschiede gibt es da?

Kontrollierte Studie: Eine neue Behandlungsform muss stets mit einer herkömmlichen Art der Behandlung oder einem Scheinmedikament (Placebo) ver­glichen werden. Denn allein die Tatsache, dass ein Patient an einer Studie teilnimmt, könnte das Ergebnis der Studie ver­fälschen. Eine „kontrollierte Studie“ hat somit mehrere „Kontrollgruppen“.

Randomisierte Studie: Bei einer „randomisierten Studie“ erfolgt die Zuteilung in die verschiedenen Kontrollgruppen nicht durch den Studienleiter, sondern von einer zentralen Stelle aus nach dem Zufallsprinzip.

Blinde, doppelblinde Studie: Von einer blinden Studie spricht man dann, wenn der Patient nicht weiß, welches Medika­ment er einnimmt. So kann verhindert werden, dass seine Erwartungen das Stu­dienergebnis beeinflussen. In einer doppelblinden Studie wissen weder Patient noch Arzt, in welcher Kontrollgruppe der Teilnehmer ist. Erst bei Komplikationen wird offen gelegt, mit welchem Wirkstoff der Patient behandelt wird.

Neue Studiendesigns

Die Krebsforschung hat sich in den letz­ten Jahren stetig weiterentwickelt. Heute wird nicht mehr nur nach dem Entste­hungsort eines Tumors, Beispiel Eierstock, geforscht, sondern nach Mutationen in der Keimbahn oder im Tumorgewebe. Um diesem Ansatz, der aus der Präzisionsme­dizin stammt, gerecht zu werden, wurden neue Studiendesigns entwickelt.

Umbrella Trial: In diesem Studien­design werden bestimmte Tumoren in verschiedenen Behandlungsarmen mit verschiedenen Medikamenten be­handelt. Die Medikamente richten sich nach bestimmten Biomarkern, die in den Tumoren gefunden werden.

Basket Trial: In diesem Studiendesign richtet sich der Fokus der Wissenschaftler auf eine bestimmte Mutation, die bei verschiedenen Tumorarten vorkommen kann. Es gilt herauszufinden, ob ein Medikament bei einer Mutation immer gleich gut wirkt, egal, wo sich der Tumor befindet. Das scheint nicht immer der Fall zu sein, weshalb diese Studien sehr wichtig sind. Diese Studie werden auch „Entitätenübergreifende Studien“ genannt.

Nutzenbewertung bei neuen Studiendesigns

Nach der Zulassung durch die Europäische Zulassungsbehörde EMA durchlaufen neue Arzneimittel den sogenannten AMNOG­Prozess (Arzneimittelneuordnungsgesetz). Der Gemeinsame Bundesausschuss (G­BA) bewertet hierbei den „Zusatznutzen“, den neue Medikamente gegenüber einer Vergleichstherapie besitzen. Dem Verfahren, das sehr sinnvoll zur Preisregulierung neuer Medikamente ist, liegen dabei große Vergleichsstudien zugrunde, sogenannte „Randomisierte Klinische Studien (RCT = ramdomized clinical trials). Bei neuen Studiendesigns, den Basket­Studien beispielsweise, gibt es aber meist keinen Vergleichsarm.

In den verschiedenen Studienarmen be­finden sich Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Krebsarten und einer gemeinsamen Mutation. Die Anzahl der Probanden pro Arm ist in der Regel nicht sehr groß. Somit fehlt für die Nutzenbewertung der direkte Vergleich zu dem bisherigen Therapiestandard. Die Nutzenbewertung fällt daher selbst bei gutem Ansprechen der Patientinnen und Patienten nicht immer positiv aus. Patientenverbände fordern seit langem eine Anpassung des AMNOG­Prozesses an die neuen Studiendesigns und damit den Fortschritt der Wissenschaft.

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