Um die Tumorentwicklung oder die histologische Einteilung der Tumoren zu verstehen, braucht man einige wenige Grundlagen der Embryologie: Lebewesen sind aus vier verschiedenen Gewebearten aufgebaut, die einen ähnlichen Zellaufbau (Histologie) besitzen und gemeinsam bestimmte Funktionen wahrnehmen:
- Das Binde- und Stützgewebe (zum Beispiel Knochen, Knorpel, Fettgewebe) bildet die äußere und innere Form – also das Lebensgerüst.
- Das Muskelgewebe ermöglicht die Lebensprozesse.
- Das Nervengewebe (zum Beispiel Gehirn, Nerven, Rückenmark) koordiniert und steuert die Lebensabläufe.
- Das Epithelgewebe umfasst alle Zellschichten, die die äußeren (beispielsweise die Haut) oder die inneren (zum Beispiel den Darm oder die Drüsenauskleidung) Oberflächen bedecken und dient dem Schutz und dem Austausch von lebensnotwendigen Stoffen (Sauerstoff der Lungen, Sekret der Brustdrüsen, et cetera).
Jedes dieser Gewebe entwickelt sich ab der Embryonalphase in einem kontrolliert und koordinierten Wachstum. Fallen regulatorische Faktoren weg, kommt es zu einer abnormen Gewebeneubildung – also zur Tumorentstehung. Tumoren, die aus dem Epithelgewebe entstehen, nennt man Karzinome – beim Ursprung in der Brust – Brustkrebs oder Mammakarzinom. Entstehen die Tumoren in den Drüsenläppchen (=Lobuli), werden sie als lobuläre Karzinome klassifiziert. Entsteht der Brustkrebs in den Gängen (=Ductuli), die das Sekret der Läppchen zur Brustwarze führen, nennt man sie ductale Karzinome. Dies sind die beiden häufigsten Karzinomtypen der Brustdrüse.
Kann man den Ursprung nicht mehr exakt bestimmen oder hat der Tumor die charakteristischen Eigenschaften des Ursprungsgewebes verloren, benennt man ihn nach seinem Wachstumsmuster. Mit dieser Systematik werden zwar viele verschiedene, insgesamt aber selten vorkommende Tumoren erfasst. Wichtig sind insbesondere die muzinösen, papillären und medullären Karzinome, da es deutliche Unterschiede in der Klinik, der Bildgebung, der Therapie und der Prognose gibt. Den drei Tumortypen gemein ist ein seltenes Auftreten. Sie machen zwischen ein und zwei Prozent aller Mammakarzinome aus.
Histologie
Unterschiedlich ist das feingewebliche Bild, das Wachstumsmuster (Histologie): Bei papillären Karzinomen dominieren fingerartige Bindegewebswucherungen mit Tumorepithelzellen auf der Oberfläche.
Invasiv papilläres Mammakarzinom: Übersicht mit partiell erhaltener Kapsel der papillär aufgebauten Neoplasie* und solide imponierenden eng zusammengeschobenen Papillen** sowie Invasionsfront *** (H. E.)
Die muzinösen Karzinome bestehen aus Zellen, die einen zähen Schleim produzieren und dann wie kleine Inseln in großen Schleimseen schwimmen. Aufgrund der Schleimbildung fühlt sich der Tumor weich an und wird deshalb häufig erst in einem fortgeschrittenen Stadium entdeckt.
Muzinöses Mammakarzinom: Übersicht mit scharfer peripherer Begrenzung und in Schleimseen* schwimmenden Tumorzellkomplexen** (H. E. x 30/150)
Völlig anders sind die medullären Karzinome aufgebaut: Dominierend ist ein zusammenhängender Zellrasen von sehr unterschiedlich aussehenden Tumorzellen mit einem entzündlichen Randsaum aus Lymphozyten.
Medulläres Mammakarzinom: Übersicht mit scharfer peripherer Begrenzung (pushing margins), syncytialem Tumorwachstum* und lymphozytärem Randsaum** (H. E. x 30)
Klinik
Während das mittlere Erkrankungsalter der Frauen bei papillären und muzinösen Karzinomen bei über 60 Jahre liegt, erkranken überwiegend jüngere Frauen an medullären Karzinomen (45 bis 52 Jahre). Medulläre und papilläre Karzinome werden meist entdeckt, wenn sie einen Durchmesser von zwei Zentimetern aufweisen, muzinöse Karzinome sind bei Erstdiagnose häufig größer.
Bildgebung und Diagnostik
In der Mammographie weisen sowohl die medullären als auch die muzinösen Karzinome eine mehrknotige Konfiguration auf und sind in der Peripherie scharf begrenzt – dies führt nicht selten zu der Missinterpretation einer gutartigen Läsion. Sie können also aussehen wie Fibroadenome, die absolut gutartig sind. Die papillären Karzinome können ebenso runde glatte Konturen zeigen, gehen jedoch meist an einer Stelle in strahlenartige Ausläufer als Zeichen der Invasivität über. Zur weiteren Abklärung dieser Veränderungen ist die Durchführung einer Mammasonographie (Ultraschall) als Standarduntersuchung zu fordern. Nur bei einem sehr dichten Brustdrüsengewebe kann unter Umständen die ergänzende Durchführung einer Kernspintomographie hilfreich sein. Die therapieentscheidende Abklärung kann nur durch eine feingewebliche Untersuchung unter dem Mikroskop erfolgen. Dazu ist die minimal invasive Entnahme eines Gewebezylinders (Durchmesser von einem Millimeter ist ausreichend) unter lokaler Betäubung erforderlich.
Therapie
Auch bei diesen selteneren Tumortypen sind die Grundsätze onkologischer Operationsverfahren anzuwenden. Das bedeutet, dass die operative Entfernung der Veränderung im Gesunden zu erfolgen hat. Hierbei ist natürlich eine Brusterhaltung anzustreben sowie eine Untersuchung der Lymphknoten durch die Entnahme des Wächterlymphknotens. Ebenso sollte zur Optimierung der lokalen Kontrolle in allen Fällen der Brusterhaltung eine Bestrahlung der Restbrust erfolgen. Zur Vermeidung eines Rückfalls oder dem Auftreten einer Fernmetastasierung werden üblicherweise nach einer Operation entweder eine antihormonelle Therapie oder eine Chemotherapie, gegebenenfalls auch eine Kombination beider Behandlungsformen eingesetzt. Hierzu ist die Kenntnis der Hormonrezeptoren (Estrogen und Progesteron) Voraussetzung. Während medulläre Karzinome in der Regel nicht hormonabhängig sind, zeichnen sich papilläre und muzinöse Karzinome durch eine hohe Rezeptorexpression aus, das heißt, sie sind stark hormonabhängig. Daher kommt für diese beiden Karzinome eine antihormonelle Therapie (Tamoxifen für die jüngere Patientin, Tamoxifen oder Aromatasehemmer eher für die ältere Patientin) in Frage. Besonders zu beachten ist, dass die medullären Karzinome zusätzlich einen negativen Her/2-neu-Status aufweisen. Formal handelt es sich hier also um ein so genanntes triple negatives Mammakarzinom (negativer Estrogenrezeptor, negativer Progesteronrezeptor, negativer Her/2-neu-Status). Allerdings ist das medulläre Karzinom durch eine sehr gute Prognose gekennzeichnet und nimmt somit eine Sonderstellung innerhalb der Untergruppe der triple negativen Karzinome ein. Die Indikation zu einer Chemotherapie ist hier mit äußerster Zurückhaltung zu stellen.
Prognose
Im Vergleich zu dem am häufigsten vorkommenden invasiv ductalen Karzinom haben die medullären Karzinome eine bessere Prognose. Dies beruht wahrscheinlich auf der Tatsache, dass medulläre Karzinome selten (unter 10 Prozent) lymphogene Metastasen aufweisen. Medulläre Karzinome mit mehr als drei Lymphknotenmetastasen unterscheiden sich prognostisch nicht von den invasiv ductalen Karzinomen. Die Zehn-Jahres-Überlebensrate für Frauen mit einem muzinösen Karzinom liegt bei 80 bis 90 Prozent, beim medullären Karzinom etwa bei 50 bis 70 Prozent. Verlässliche Zahlen für das papilläre Karzinom liegen derzeit nicht vor.
Genetik
Eine genetische Veranlagung ist bisher nur für das medulläre Karzinom bekannt, bei dem eine Assoziation mit dem Brustkrebsgen BRCA1 nachgewiesen werden konnte.