In den letzten sieben Jahren hatte Claudia L. erst so recht entdeckt, was Sport und Bewegung ihr an Lebensfreude bescherten. Früher hatte sie körperliche Anstrengung als zuweilen unvermeidbar, aber lästig angesehen, und mit ihrem Beruf als Erzieherin, mit ihren zwei Kindern und dem Haushalt einen übervollen Tag bewältigt. Mit 37 Jahren änderte die Diagnose Brustkrebs alles. Nach der langen Durststrecke von brusterhaltender Tumorentfernung, Entfernung der Achsellymphknoten, Bestrahlung und Chemotherapie führte sie inzwischen ein Leben, das besser, bewusster und sorgsamer ist als zuvor. Mit dem Notarzt kam sie ins Krankenhaus: Medizinische Notfallroutine. EKG, Blutuntersuchung, Röntgen des Brustkorbes: Nichts, was auf einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie hinweisen würde, unwahrscheinlich ohnehin in ihrem Alter.
Diagnose Knochenmetastasen
Aber im Röntgenbild erschien der siebte Brustwirbel niedriger als die anderen. In einer seitlichen Aufnahme war zu erkennen, wie der Wirbelkörper zusammengesunken war: Ein Zusammenbruch wie sonst bei Osteoporose, der die austretenden Nerven einengt und so Schmerz hervorruft, ja sogar das Rückenmark bedrohen kann. Noch einige wenige Tage hatte Claudia L. Schmerzen bei jeder Bewegung, mit jedem tiefen Atemzug, war benommen von den starken Schmerzmitteln, dann stand die Diagnose Knochenmetastase fest. Es erfolgte die Wiederaufrichtung des siebten Brustwirbels mittels Kyphoplastie: Der Wirbel wurde über zwei kleine Hautschnitte in schonender Vollnarkose angebohrt, mittels Flüssigkeitskissen wieder aufgerichtet und mit Knochenzement stabilisiert. Und: sofortige Schmerzfreiheit, rasche Belastbarkeit. Mit der Entdeckung der Metastase erhöht sich bei Claudia L. wie bei vielen anderen Frauen mit Mammakarzinom der Kontroll- und Überwachungsbedarf. Knochenmetastasen in anderen Wirbeln, anderen Knochen, müssen gesucht und behandelt werden, und wenn Brüche auftreten, müssen diese knochenchirurgisch versorgt werden. Wenn so auch die Schmerzen durch Stabilisierung behoben werden können wie mittels Kyphoplastie, ist das die beste Schmerztherapie und erspart starke Schmerzmittel. Wenn der erkrankte Knochen noch stabil ist, können auch Bestrahlung und Bisphosphonate die Schmerzen dämpfen.
Konsequente Behandlung von Schmerzen
Für Schmerzen aus allen Metastasen gilt, dass sie fast immer durch direkte Beteiligung von Nervengewebe oder durch indirekten Druck auf Nervenstrukturen ausgelöst werden, und immer wird der behandelnde Arzt diesen Druck zu senken versuchen. Das gilt für vergrößerte Lymphknoten, reibende Rippenfellmetastasen mit Erguss und Atemnot, Lebermetastasen, Veränderungen der Haut mit ihren unzähligen Nervenendigungen oder auf das Gehirn drückende Tumoren im Schädel. Neben der ursächlichen Behandlung auftretender Metastasen müssen Schmerzen konsequent behandelt werden; zuweilen reichen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) vom Typ des Diclofenac oder des Ibuprofen, unbedingt begleitet von einem Magenschutz wie Pantozol, oder das weit verbreitete Metamizol (zum Beispiel Novalgin®). Grundsätzlich ist es sinnvoll, Alternativmethoden wie Akupunktur oder Transcutane Nervenstimulation (TENS) und Entspannungsverfahren aus sachkundiger Hand zu erproben, meist als multimodale Ergänzung und Hand in Hand mit der Psychoonkologie.
Verzicht auf starke Schmerzmittel sinnlos
Aber sinnlos ist es, auf eine durchgehende Behandlung mit starken Mitteln vom Morphin-Typ, den Opioiden, unter Schmerzen zu verzichten, etwa um sich eine Reserve zu erhalten oder einer vermeintlichen Sucht zu entgehen. Unter Schmerzen gibt es keine Suchtentwicklung, und wenn sich die Schmerzursache zurückbildet, sinkt auch der Bedarf an starken Schmerzmitteln. Schmerztherapeuten verständigen sich mit ihrer Patientin auf eine Skala von null bis zehn für fehlenden Schmerz bis zu unerträglichen Schmerzen. In aller Regel stehen Schmerzen nicht mehr im Vordergrund und erlauben eine gute Lebensqualität, wenn ein Wert unter drei erreicht wird. Weil jeder Schmerz anders ist und Verträglichkeit und Nebenwirkungen der Opioide bei jeder Patientin anders ausgeprägt sind, verfügen wir heute über eine große Palette von starken Schmerzmitteln. Ob als Tropfen, Tabletten, mehrmals oder einmal am Tag einzunehmen oder als kaum sichtbares Pflaster für mehrere Tage: Das individuelle Medikament muss sorgfältig ausgewählt und dosiert werden, dann findet sich bei über 90 Prozent der Patientinnen eine gute Lösung. Ein sehr gleichmäßiger Spiegel im Blut fördert Wirkung und Verträglichkeit und mildert die Nebenwirkungen, deshalb sind Retard-Tabletten unbedingt notwendig und Pflaster oft noch vorteilhafter. Für die Anpassung an einen Tagesrhythmus der Schmerzen – die manchmal nachts verstärkt auftreten – gibt es eigene Verfahren, ebenso für unerwartet auftretende Schmerzspitzen. Ganz anders als bei den Nichtopioiden sind Nebenwirkungen auf Magen, Darm, Leber und Nieren gering. Die typischen unerwünschten Nebenwirkungen der starken Schmerzmittel sind Müdigkeit und verlangsamte Reaktion, Übelkeit, Darmträgheit und Juckreiz. Müdigkeit und verminderte Reaktionsgeschwindigkeit verschwinden oft schon nach drei bis sieben Tagen. Fürs Autofahren gibt es dann keine Einschränkungen mehr. Übelkeit und Juckreiz erfordern oft ein anderes Opioid oder zusätzliche Gegenmittel, wegen der Darmträgheit sind fast regelmäßig gut abgestimmte Abführmittel erforderlich.
Wenn die Schmerztablette nicht ausreicht
Nervenschmerzen, oft von brennendem Charakter, die dem beeinträchtigten Nervengewebe selbst entspringen, erfordern zusätzlich Medikamente, meist Gabapentin oder Pregabalin. Schmerztherapeuten können mittels einzelner Injektionen an das Sympathische Nervensystem oft langfristige Besserung erreichen; solche Sympathikusblockaden sind auch oft sehr wirksam gegen Brennschmerzen an Brust, Achsel oder Arm, zum Beispiel nach Lymphknotenentfernungen.
Bei weniger als zehn Prozent aller Patienten mit tumorbedingten Schmerzen reichen all diese Maßnahmen nicht aus, um die Lebensqualität wiederherzustellen. Jetzt, und besonders wenn nebenwirkungsreich sehr hohe Schmerzmitteldosen erforderlich wären, gibt es die Möglichkeit, mit nur einem Hundertstel der Schmerzmittelmenge, die als Tablette nötig wäre, über einen Katheter im Nervenwasser die Schmerzen zu behandeln. Der Katheter verschwindet mit einer Schrittmacher-großen Pumpe in einem kleinen Eingriff unter die Haut, die Pumpe wird einmal im Monat über einen Port nachgefüllt. Dazwischen darf die Patientin die Schmerzmittelgabe getrost vergessen, und ein Hundertstel des Schmerzmittels erzeugt hundertmal weniger Nebenwirkungen. Eine gut eingestellte Schmerzbehandlung kann Lebensqualität wiederherstellen, die durch starke Schmerzen verloren ging.