„Du musst positiv denken!“

iStock-1431699368_PositivDenken_ArtikelBild
© iStock / Iryna Shek

„Du musst nur positiv denken!“, „Du darfst nicht so negativ sein, das schadet Deiner Gesundheit!“ Krebspatientinnen kennen diese Ratschläge. Solche Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld, aus dem Freundeskreis mögen wohlgemeint sein, sind aber nur bedingt hilfreich und in manchen Fällen eher eine zusätzliche Last.

Darüber hinaus steckt hinter einer derartigen Empfehlung von Außenstehenden oftmals auch die persönliche Angst vor einer Krebserkrankung. Auch in Zeitungen, Zeitschriften oder in der Ratgeberliteratur wird immer wieder auf die Bedeutung des positiven Denkens hingewiesen. Eindrucksvoll wird in manchen Büchern, aber auch in Seminaren dargestellt, wie positives Denken oder ein entsprechender Kampfgeist im Umgang mit der Erkrankung die Heilung fördert. Auch in Gesprächen mit Patientinnen in unserer psychoonkologischen Ambulanz machen wir immer wieder die Erfahrung, dass die Vorstellung, über positives Denken den Krebs zu beeinflussen, weit verbreitet scheint.

Oftmals sind sich die Ratgebenden gar nicht bewusst, was sie mit dieser Empfehlung auslösen. Die Krebserkrankung konfrontiert uns alle, aber natürlich ganz besonders die Betroffenen mit der Endlichkeit unseres menschlichen Daseins. Die Patientinnen fühlen sich verletzt, verwundbar, verunsichert. Ängste, Sorgen, Zweifel bahnen sich ihren Weg oder wie es in dem Buch von Andrea Länger (2010) sehr treffend beschrieben wird: „Unser unverwundbarer Zustand ist damit schlagartig beendet worden. Wir fühlen uns verletzt, verunsichert und wissen, das alte Leben ist vorbei. Unser Blick auf die Welt und uns selbst ist nicht mehr der gleiche. Das macht uns traurig und das ist zu betrauern.“

Viele Ängste der Patientinnen sind ganz realer Art und erscheinen angesichts dessen, was sie vor sich haben oder auch schon an Krankheits- und Behandlungs­erfahrungen mitbringen, sehr nachvollziehbar. Die Aufforderung, positiv zu denken, erscheint dann nicht nur nicht angemessen, sondern setzt die Betroffenen mit dem Hinweis, dass negatives Denken auch noch der Gesundheit schadet, zusätzlich unter Druck. Erfahrungsgemäß haben es Patientinnen, die sich entscheiden, in der Bewältigung ihrer Erkrankung einen anderen Weg zu gehen, oft sehr schwer. Sie finden wenig Unterstützung in ihrem Umfeld und müssen sich vehement zur Wehr setzen, um mit ihrer Art der Bewältigung akzeptiert und ernst genommen zu werden.

Die Vorstellung, über positives Denken die Krankheit beeinflussen zu können, wurzelt in den vielseitig beschriebenen Zusammenhängen von Körper und Psyche, wie sie in Untersuchungen der Psychosomatik, der Psychoneuroimmunologie oder auch aus der Stressforschung bekannt sind. So erscheint es auch nicht verwunderlich, dass etwa 50 Prozent aller Krebspatienten psychische Faktoren für ihre Erkrankung mitverantwortlich machen und daraus auch der Wunsch resultiert, im Rahmen einer psychoonkologischen oder psychotherapeutischen Behandlung die psychische Krankheitsursache zu finden und damit zur körperlichen Heilung beizutragen. Als Beweis für die These: „wer kämpft und positiv denkt, besiegt den Krebs“ werden oftmals prominente Vorbilder angeführt, während entsprechende Gegenbeispiele von ebenso starken Persönlichkeiten, die ihren Krebs nicht „besiegen“ konnten, ignoriert werden. Vielfach wird diesen Personen unterstellt, nicht genug gekämpft, aufgegeben zu haben.

Was sagt die Wissenschaft?

Um die Frage zu beantworten, in wieweit die Psyche mit dem Krankheitsverlauf zusammenhängt, können wir auf drei unterschiedliche Untersuchungsansätze Bezug nehmen. Dazu gehören zum einen Studien, die bestimmte Formen der Krankheitsverarbeitung in Bezug zum Krankheitsverlauf setzen. Aktuell finden sich allerdings keine überzeugenden Hinweise darauf, dass eine ganz bestimmte Art des Umgangs mit der Krankheit besonders günstig oder lebensverlängernd wirkt. Wenn im Einzelfall Zusammenhänge zwischen Psyche und Krankheits­verlauf beobachtet werden, so kann es sich dabei möglicherweise auch um eine umgekehrte Beeinflussung handeln, nämlich dass der körperliche Zustand die Psyche beeinflusst, zum Beispiel die Stimmung und den Antrieb vermindert und Gefühle der Hilflosigkeit und Verzweiflung hervorruft.

Eine weitere Untersuchungsmöglichkeit besteht darin, psychische Faktoren wie beispielsweise Angst oder Depression in ihrem Zusammenhang mit dem Krankheits­verlauf zu untersuchen. Dazu liegen unterschiedliche Ergebnisse vor. Studien, in denen Patientinnen mit einem guten psychischen Befinden, das heißt mit weniger Angst oder Depression eine längere Lebenszeit zeigen als die psychisch belasteten Patientinnen, werden oftmals zitiert mit der Empfehlung, positiv zu denken und negatives Denken zu unterbinden. Es gibt aber auch Studien, die genau das Gegenteil zeigen, das heißt die Ergebnisse zeigen für die psychisch stärker belasteten Patienten eine längere Überlebenszeit, und angesichts dieser Ergebnisse würde doch niemand auf die Idee kommen, Krebspatienten einen depressiven Lebenswandel zu empfehlen.

Schließlich gibt es noch so genannte Interventionsstudien, in denen der Effekt psychotherapeutischer Interventionen auf den Krankheitsverlauf untersucht wird. Auch hier liegen unterschiedliche Studienergebnisse vor und zusammenfassend geben diese zum aktuellen Zeitpunkt keinen Hinweis darauf, dass sich über psychotherapeutische Interventionen das Krebsgeschehen beeinflussen lässt. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass über entsprechende Interventionen sehr wohl das psychische Befinden, die Lebensqualität und auch körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder Nebenwirkungen von Behandlungs­maßnahmen positiv beeinflusst werden können.

Das Erleben der Patientinnen

Es mag kritische Stimmen geben, die die zuvor beschriebenen Ergebnisse dahingehend kommentieren, dass die Studien damit aber auch nicht beweisen, dass die Psyche keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat. Auch von psychoonkologischen Forschern wird darauf hingewiesen, dass unter Umständen zu viele methodische Probleme bestehen, um einen solchen Zusammenhang überhaupt untersuchen und nachweisen zu können. Dem kann nicht wider­sprochen werden, aber an vorderster Stelle steht aus einer psycho­onkologischen Perspektive die Frage, was Patientinnen in ihrem Erleben und ihrer Bewältigung der Krebserkrankung und -behandlung hilft. Wenn Betroffene in ihrer Lebensrückschau davon profitieren, von einer psychischen Krankheits­theorie auszugehen und an die psychische Beeinflussbarkeit der Erkrankung glauben, weil sie damit das Gefühl von Sinnhaftigkeit, Kontrolle und Hoffnung verbinden, so ist dies als ihr persönlicher Weg zu begreifen und zu akzeptieren.

Psychische Krankheitstheorien bergen aber auch Risiken. Werden psychische Faktoren für die Krebsentstehung verantwortlich gemacht, können sie auch Schuldgefühle hervorrufen und eine zusätzliche Belastung darstellen, womit den Betroffenen wenig geholfen ist. Bezogen auf den Krankheitsverlauf können psychische Heilungstheorien und die Vorstellung, über positives Denken den Krebs zu besiegen, Druck und Versagensängste wie zum Beispiel die Angst „Wenn ich es nicht schaffe, positiver zu denken und nicht endlich meine Traurigkeit überwinde, werde ich wieder krank!“ produzieren. Besonders, wenn die Empfehlungen aus dem familiären Umfeld formuliert werden, besteht die Gefahr, dass die betroffene Person mit ihrem Erleben allein bleibt, weil sie sich nicht traut, über ihre Ängste und Traurigkeit zu sprechen. Die Versuche von Angehörigen oder Freunden, zum positiven Denken zu motivieren, sind für die Betroffenen manchmal wenig unterstützend und hilfreich.

Wenn beispielsweise die Patientin ihre Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Behandlungsmaßnahme anspricht: „Was ist, wenn die Chemotherapie nicht wirkt?“ und Angehörige entgegnen: „Solche Gedanken darfst Du gar nicht haben! Du musst jetzt positiv in die Zukunft schauen!“, dann kann sich die Patientin mit ihren Sorgen allein gelassen fühlen. Wir wissen, dass sich Ängste nicht einfach wegreden lassen, sondern dass Ängste vor allem dadurch gemindert werden, dass sie ausgesprochen werden können, dass sie mit Anderen geteilt werden können und die Betroffene dadurch nicht isoliert wird. Eine professionelle psychoonkologische Behandlung ermöglicht es den Patientinnen, einen persönlichen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Indem Vor- und Nachteile der persönlichen Krankheitstheorie reflektiert und unter Berücksichtigung der persönlichen Motive und Zielvorstellungen hilfreiche Strategien erarbeitet werden, können Belastungen, Ängste und Sorgen reduziert werden. Wenn es gelingt, die Freude am Leben und das Gefühl der Lebenslust zu (re-)aktivieren, wozu auch manchmal das Betrauern von Verlusten, die Auseinandersetzung mit Schmerz und Leid gehört, dann wird vielen Patientinnen geholfen.

Dr. sc. hum. Anette Brechtel
Psychologische Psychotherapeutin
Verhaltenstherapeutin
Psychoonkologin (DKG e.V.)
Webergasse 1
67346 Speyer

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Interessante Artikel der gleichen Kategorie