Mamma Mia!: Herr Dr. Fremd, warum sollten sich gerade Menschen mit einer Krebserkrankung impfen lassen?
Dr. Carlo Fremd: Das ist eine sehr wichtige Frage – mit klarer Antwort: Impfungen sind für Krebspatientinnen und -patienten besonders wichtig, weil ihr Immunsystem durch die Erkrankung selbst oder durch die Therapie oft geschwächt ist. Eine Infektion kann dann schwerer verlaufen als bei gesunden Menschen. Außerdem besteht die Gefahr, dass eine Infektion eine notwendige Krebstherapie verzögert oder diese sogar unterbrochen werden muss.
Schutzimpfungen können das Risiko solcher Komplikationen erheblich senken. Für Patientinnen mit Brustkrebs ist dennoch wichtig zu verstehen, dass das Risiko einer schwerwiegenden Infektion niedriger ist als bei Leukämien oder Lymphomen. Besonders hohem Risiko sind Patientinnen und Patientin ausgesetzt, die eine Stammzelltransplantation benötigen.
Dr. Carlo Fremd ist Oberarzt für Medizinische Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.
Sind Impfungen während einer Krebstherapie überhaupt möglich?
Das hängt vom Impfstoff ab. Die meisten Impfstoffe, die wir heute einsetzen, sind sogenannte Totimpfstoffe – das heißt, sie enthalten keine lebenden Erreger. Diese sind auch während der Krebsbehandlung sicher. Dazu zählen zum Beispiel die Grippeimpfung, die COVID-Impfung, Pneumokokken-Impfung oder die Impfung gegen Keuchhusten.
Lebendimpfstoffe – also Impfstoffe mit abgeschwächten, vermehrungsfähigen Erregern wie gegen Masern, Mumps, Röteln oder Varizellen– sind während der aktiven Krebsbehandlung dagegen nicht möglich. Lebendimpfstoffe dürfen bis zu vier Wochen vor Beginn der Krebstherapie eingesetzt werden, ansonsten besteht das Risiko, dass die Erreger im Körper Schaden anrichten. Entsprechend wichtig ist es, schon vor dem Beginn der Krebsbehandlung den Impfstatus gemeinsam zu prüfen.
- Totimpfstoffe: Enthalten abgetötete Erreger oder deren Bestandteile.
Auch bei Krebs sicher einsetzbar (zum Beispiel gegen Influenza).
- Lebendimpfstoffe: Enthalten abgeschwächte, vermehrungsfähige Erreger.
Während der Krebstherapie nicht geeignet (zum Beispiel Masern, Mumps, Röteln).
Welche Impfungen werden konkret empfohlen?
Es gibt eine Reihe Impfungen, welche die Ständige Impfkommission (STIKO) und die onkologischen Fachgesellschaften (zum Beispiel AGIHO/DGHO) empfehlen. Sie können nicht nur Infektionen vermeiden, sondern helfen auch dabei, den Therapieplan nicht zu gefährden:
- Die jährliche Grippeimpfung (Influenza-Impfung), unabhängig vom Lebensalter.
- Die Impfung gegen Keuchhusten, meist als Kombi-Impfung mit Diphtherie und Tetanus (sogenannte DTP-Impfung).
- Die Pneumokokken-Impfung, um Lungenentzündungen und andere Komplikationen zu vermeiden.
- Die Hib-Impfung, also gegen Haemophilus influenzae Typ b, die bei geschwächtem Immunsystem sinnvoll ist.
- Die Impfung gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) da die Erreger nach einer Windpockeninfektion ein Leben lang im Körper verbleiben können und später reaktiviert werden können.
- Die Hepatitis Impfungen (Hepatitis A- und Hepatitis B-Impfung), sofern kein ausreichender Schutz besteht.
- Die RSV-Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), um schwere Lungenentzündungen zu vermeiden; empfohlen bei älteren Patientinnen (über 75 Jahre) oder zusätzlichen Risikofaktoren (zum Beispiel Diabetes)
- Die jährliche Auffrischimpfung gegen COVID-19. Empfohlen sind alle zugelassenen mRNA- und Protein-basierten Impfstoffe. Diese Totimpfstoffe werden jährlich an neue Varianten des Virus angepasst.
Wie für die Grippeimpfung wird auch für die COVID19-Impfung eine jährliche Auffrischung empfohlen. Wirken die Impfungen auch unter einer Chemotherapie?
Gerade Krebspatientinnen und -patienten haben ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe. Gleichzeitig haben wir gelernt, wie schnell sich das SARS-CoV-2 verändern kann. Deshalb empfiehlt die STIKO eine Auffrischung mit einem jährlich angepassten Impfstoff. Auch wer sich bisher nicht impfen ließ, sollte das nachholen – mit einer Grundimmunisierung und zwei Auffrischimpfungen. Die Impfung während der Chemotherapie ist sicher und sinnvoll, auch wenn die gewünschte Antwort des Immunsystems abgeschwächt sein könnte. Wer die Möglichkeit hat, sollte die COVID-19 Impfung spätestens zwei Wochen vor Beginn der Chemotherapie erhalten.
Wie geht es nach der Therapie weiter?
Wenn Impfungen während der Therapie nicht möglich waren oder nicht vollständig erfolgt sind, können auch die Grundimmunisierungen während der Nachsorge nachgeholt werden. Nach dem Abschluss der Krebstherapie kann es sinnvoll sein, dem Immunsystem etwas Zeit zu geben, damit es sich erholen kann. Totimpfstoffe können ab drei Monaten nach Ende der Behandlung verabreicht werden. Für Lebendimpfstoffe gilt: Sechs Monate Abstand sollten eingehalten werden.
Was ist der Unterschied zwischen aktiven und passiven Impfungen?
Bei der aktiven Impfung wird das Immunsystem gezielt stimuliert – durch abgetötete Erreger oder Erregerbestandteile. Der Körper bildet daraufhin eigene Antikörper und sogenannte Gedächtniszellen, die bei einem späteren Kontakt mit dem Erreger schnell reagieren können. Diese Impfungen brauchen manchmal mehrere Dosen, um eine Grundimmunisierung aufzubauen. Bei der passiven Impfung hingegen verabreichen wir direkt fertige Antikörper – zum Beispiel aus Blutplasma von Menschen, die bereits immun sind. Das bietet einen sofortigen, aber nur kurzzeitigen Schutz. Das kann in bestimmten Situationen sinnvoll sein, etwa bei einer akuten Bedrohungslage.
Und was können Angehörige tun?
Angehörige spielen eine wichtige Rolle. Sie sollten ihren eigenen Impfschutz unbedingt prüfen und gegebenenfalls auffrischen lassen. Sie können eine indirekte Schutzbarriere sein – man spricht hier von „Herdenimmunität im Kleinen“. Wer selbst immun ist, schützt damit auch die vulnerablen Personen in seiner Umgebung.
Das Interview führte Eva Schumacher-Wulf.
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