Fatigue: „Wie Watte im Kopf“

Fatigue bei Krebs
© iStock / Mary Long

Wie fühlt sich eine tumorbedingte Fatigue körperlich, geistig und seelisch an? Welche Strategien können beim Umgang helfen? Das erzählt Cindy Körner im Interview!

Mamma Mia!: Cindy, wann hast Du zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt und Du mehr als nur erschöpft bist?

Cindy: Das hat wirklich lange gedauert. Zuerst findet man ja logische Erklärungen dafür, dass man nicht so auf der Höhe ist: die psychische Belastung durch die Krebsdiagnose, die körperlichen Strapazen durch die Behandlung, die gesundheitlichen Rückschläge in den Monaten und sogar Jahren nach der Akuttherapie. Ungefähr drei Jahre nach der Diagnose sind mir aber die Gründe ausgegangen, warum die Müdigkeit und Erschöpfung nicht besser werden.

Cindy Körner
© M. Stark, NCT Heidelberg

Und Deine Familie – wie hat sie reagiert?

Mein Mann sagte zu Beginn meiner Fatigue-Reise einmal, er habe langsam das Gefühl, dass ich mich ‚müde schlafe‘. Ich wusste genau, was er meinte, weil es diese Situation vorher tatsächlich gegeben hatte. Damit meine ich ein faules Wochenende mit wenig Aktivität und viel Schlaf und am Montag war ich noch müder als davor. Aber das war eine ganz andere Art von Müdigkeit – weniger schwer und mit weniger Watte im Kopf. 

Eine Fatigue ist ja nicht jeden Tag gleich. Wie sieht für Dich ein guter Tag aus?

Das sind Tage, an denen ich normal arbeiten und meiner Verantwortung als Mama nachkommen kann. Oft habe ich dann sogar die Energie, Sport zu machen. Allerdings bin ich selbst an guten Tagen weniger leistungsfähig als früher. Ich brauche mehr Schlaf und vor allem mehr Pausen und Ruheinseln, um gut durch den Tag zu kommen. Aber mit ein bisschen Anpassung und Abstrichen in der Freizeitgestaltung klappt das heute wirklich gut. Inzwischen habe ich wieder mehr „gute“ Tage.

Und ein schlechter Tag – wie fühlt er sich an?

Ich wache morgens auf und merke gleich: Heute wird das nichts. Ich liege stundenlang wach im Bett, möchte aufstehen und habe Pläne, die wie ein Film vor meinem geistigen Auge ablaufen. Aber mein Körper fühlt sich so schwer, so bewegungsunfähig an, dass ich einfach nicht aufstehen kann. Irgendwann schaffe ich es dann mit enormer Kraftanstrengung aus dem Bett und erledige das Nötigste. Im Idealfall ist das so gut wie nichts. Dann ist die Chance größer, dass mein Zustand schneller wieder besser wird.

Geistig fühle ich mich an einem schlechten Tag oft wie in Watte gepackt. Ich denke und reagiere sehr langsam und kann äußere Reize äußerst schlecht tolerieren und verarbeiten. Das ist gar nicht so einfach mit Kindern. Meistens dauern solche Episoden wenige Tage, bis ich eines Morgens aufwache und merke: heute bin ich wieder soweit in Ordnung, dass das Leben weitergehen kann.

Kannst Du es beeinflussen, ob ein guter oder schlechter Tag kommt?

Die schlechten Tage kommen, wann sie wollen. Manchmal gibt es eine Vorwarnung, manchmal bin ich zuvor vielleicht über meine Grenzen gegangen und manchmal sind sie vollkommen unvorhersehbar plötzlich da. Diese Unplanbarkeit ist das Schlimmste. Das schränkt die Lebensqualität schon massiv ein.

In der Gesellschaft gibt es oft den Druck, normal funktionieren zu müssen. Wie gehst du damit um?

Früher hat mich das mental sehr belastet. Auch, weil ich wenig Verständnis für mich selbst und dafür hatte, wie mir die einfachsten Tätigkeiten so schwer fallen können. Schließlich habe ich mich immer über Leistung definiert. Und nichts zu leisten, fühlt sich einfach falsch an. Inzwischen habe ich aber gelernt, das zu akzeptieren. Wenn ich mir selbst Druck mache oder schlecht über mich denke, macht das die Situation nur noch schlimmer. Außerdem kann es an manchen Tagen schon eine Leistung sein, aus dem Bett aufgestanden zu sein und mit der Tochter Hausaufgaben gemacht zu haben.

Bei Ärztinnen und Ärzten steht die Fatigue oft nicht im Mittelpunkt – ist das auch Deine Erfahrung?

Leider kann ich das so bestätigen. Die Fatigue wurde zwar von Beginn an als mögliche Nebenwirkung der Therapien thematisiert. Aber zum einen konnte ich mir darunter wenig vorstellen und zum anderen wurden meine Aussagen, dass ich oft sehr erschöpft bin, nicht weiter verfolgt. Mein Umgang mit der Fatigue beruht deswegen viel auf „Trial and Error“, Körpergefühl und eigenen Erfahrungen.

Wie wirkt sich die Fatigue auf Deinen Beruf aus?

An schlechten Tagen ist an Arbeit nicht zu denken. Zwischenzeitlich hat das zu vielen Krankheitstagen geführt. Wie oft war ich schon dankbar dafür, einen sehr verständnisvollen Chef zu haben. Er weiß, dass das Problem nicht ist, dass ich nicht will, sondern dass ich wirklich nicht kann.

Du musst in Deinem Leben also Prioritäten setzen.

Auf jeden Fall. Wenn es mir besser geht, fließt die Energie meist zunächst in den Alltag, also die Versorgung meiner Familie, dann in den Beruf und erst dann in Aktivitäten, die gut für meine Lebensqualität sind. Das hängt wohl sehr stark mit dem gesellschaftlichen Druck, aber auch mit eigenen Glaubenssätzen zusammen. Gerade im Beruf und in meiner Familie gibt es objektiv keinen Druck auf mich, funktionieren zu müssen. Ich habe das Glück, viel Rücksicht erfahren zu dürfen. Und dennoch mache ich mir diesen Druck sehr stark selbst, obwohl ich rational weiß, dass das nicht förderlich ist. Aber ich arbeite daran.

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Fatigue bei Krebs

Eine Fatigue ist für Außenstehende ziemlich schwer nachvollziehbar.

Ja, oft hört man Aussagen wie: „Ich habe die letzten Nächte auch schlecht geschlafen.“ Oder: „Ich weiß, wie es Dir geht. Ich bin auch oft müde.“ Das hilft leider nicht gerade dabei, sich ernst genommen zu fühlen. Auch Relativierung, Verharmlosung oder der Versuch, mich zu überreden, meine Grenzen nicht zu respektieren, sind eher schädlich. Es fällt mir ohnehin schwer, diese Grenzen zu erkennen und realistisch zu definieren. Da hilft es absolut nicht, wenn man mir das Gefühl vermittelt, sie wären nicht richtig oder passend.

Was könnte das Umfeld denn besser machen?

Rücksicht, Verständnis und der ehrliche Versuch, meine Einschränkungen nachvollziehen zu können, sind sehr hilfreich für mich. Wenn ich mich gesehen und verstanden fühle, hilft mir das, mich auch selbst besser zu sehen.

Es gibt kein Rezept gegen Fatigue, das allen Betroffenen gleichermaßen hilft. Welche Strategien funktionieren bei Dir?

Ich versuche, überfordernde Situationen zu vermeiden, wenn ich sie schon vorher absehen kann. Früher hätte ich nie gesagt, ich komme nicht mit auf eine Geburtstagsfeier, selbst wenn es mir den Tag über schon schlecht gegangen ist. Und ich hätte auch keine Party verlassen, wenn ich gemerkt hätte, dass ich mich nicht gut fühle. Im Gegenteil: Ich hätte alle Kraft aufgebracht, mich dort hin geschleppt und wäre auch geblieben – nur um dann mit Ansage in ein Loch zu fallen. Das mache ich heute nicht mehr. Sicher hat mir diese Strategie schon viele schlechte Tage erspart.

Bewegung gilt ja als gutes Mittel gegen Fatigue – auch bei Dir?

Es hilft mir enorm, wenn ich es schaffe, eine Sport-Routine zu etablieren. Die Bewegung – ebenso wie ausgewogene Ernährung – tut unheimlich gut und stabilisiert auch meine guten Phasen, selbst wenn die Herausforderungen des Alltags größer werden. Die Schwierigkeit liegt nur darin, dass es unvorstellbar schwer ist, diese Routine aufrecht zu erhalten, wenn doch wieder eine schlechte Phase kommt. Plötzlich ist Sport undenkbar und der Heißhunger auf Snacks wird riesig. Ist die Routine erst einmal verloren gegangen, ist es ungleich schwieriger, sie aus einer schlechten Phase heraus wieder aufzubauen.

Wie gelingt Dir das wieder?

Soziale Netze helfen mir oft dabei. Menschen, die mich mit ganz sanftem Druck dazu animieren, nach draußen zu gehen, wenn es körperlich und mental möglich ist. Menschen, die mir Halt geben und aufzeigen, dass Schokolade jetzt auch keine wirkliche Lösung ist. Manchmal nützt mir auch das nicht – dann helfen nur noch Geduld und Verständnis für mich selbst.

Hast Du einen Rat für andere, die gerade erste Bekanntschaft mit der Fatigue machen?

So, wie es kein Patentrezept zum Umgang mit der Fatigue gibt, habe ich auch keinen allgemeingültigen Rat. Was zumindest nicht verkehrt sein kann: Versucht, euch selbst wieder besser kennenzulernen und auf das zu hören, was euer Körper und euer Bauchgefühl euch sagen möchten. Sie haben meist Recht und wissen es besser als das schlechtes Gewissen oder das Anspruchsdenken. Und seid nachsichtig und geduldig mit euch selbst – mindestens so sehr, wie mit euren besten Freundinnen und Freunden.

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