Die Präzisionsmedizin oder personalisierte Medizin zielt darauf ab, für jeden Menschen zum richtigen Zeitpunkt eine maßgeschneiderte Behandlung gegen seine Krankheit zu finden. Bei Krebserkrankungen sprechen medizinische Fachleute von „Präzisionsonkologie“, wenn sie die passgenaue Behandlung von bösartigen Tumoren meinen. Diese Strategie macht sich die Tatsache zunutze, dass Forschende Krebszellen heute immer genauer untersuchen und ihre biologischen und molekulargenetischen Eigenschaften entschlüsseln können. Jeder Tumor besitzt eine Art „Fingerabdruck“ und oft besondere Biomarker. Dazu gehören nicht nur spezielle Eiweiße auf den Krebszellen, sondern auch genetische Merkmale.
Diese können wiederum als „Zielstrukturen“ dienen, an denen Krebsbehandlungen ansetzen können. Die Krebstherapie wird somit persönlich auf jeden Menschen, seine Krebsart, das Stadium der Krebserkrankung und die speziellen Eigenschaften der Tumorzellen zugeschnitten. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Labore die Krebszellen ausreichend untersuchen und auf Veränderungen testen. Präzisionsmedizin lässt sich vereinfacht als Kombination aus hoch spezialisierter Diagnostik und einer darauf abgestimmten Therapie beschreiben.
Biomarker bei Brustkrebs
Bei Brustkrebs sind mehrere Biomarker und genetische Merkmale bekannt, die Ansatzpunkte für die Präzisionsmedizin beziehungsweise Präzisionsonkologie sein können. Oft besitzen Brustkrebszellen besondere Eigenschaften. Dann können Ärztinnen und Ärzte Behandlungen auswählen, die sich gezielt gegen diese richten – und erkrankten Frauen und Männern somit eine personalisierte Medizin anbieten. Die gezielt wirkenden Medikamente sollen zum Beispiel die Rückfallgefahr bei einer Krebserkrankung verhindern oder das Tumorwachstum bremsen beziehungsweise zum Stillstand bringen. Sie kommen sowohl bei frühem Brustkrebs als auch beim fortgeschrittenen oder metastasierten Brustkrebs zum Einsatz.
Einige Beispiele von Zielstrukturen, an denen die Brustkrebstherapie ansetzen kann:
- Hormonrezeptoren: Die Mehrzahl der Mammakarzinome braucht Hormone für ihr Wachstum. Die Krebszellen besitzen Bindungsstellen (Rezeptoren) für Östrogen (ER+) und/oder Progesteron (PgR+). Fachleute bezeichnen diese Tumoren als Hormonrezeptor-positiv oder HR+. Hier kommt eine Antihormontherapie (endokrine Therapie) zum Einsatz, zum Beispiel mit dem Wirkstoff Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer.
- Humaner epidermaler Wachstumsfaktor 2 (HER2): Bei manchen Tumoren ist das Eiweiß HER2 übermäßig an den Krebszellen vorhanden. Eine zielgerichtet wirkende Anti-HER2-Therapie mit Antikörpern, zum Beispiel Trastuzumab oder Pertuzumab, kann das Tumorwachstum aufhalten.
- PD-L1: Manche Tumorzellen bilden ein Eiweiß namens PD-L1 aus, um die Immunantwort des Abwehrsystems zu unterdrücken und auszuschalten. Hier setzt die Immuntherapie an, die diese Blockade der Immunantwort wieder aufhebt. Mögliche Wirkstoffe bei Brustkrebs sind die Antikörper Atezolizumab und Pembrolizumab. Die Immuntherapie kommt bei triple-negativem Brustkrebs zum Einsatz, dem TNBC.
- TROP2: Das ist ein Eiweiß auf der Zelloberfläche, das bei vielen Krebsarten übermäßig vorhanden ist, auch bei Brustkrebs. TROP2 kann ein Angriffsziel für sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADCs) sein. Bei diesen Medikamenten sind ein Antikörper und ein Chemotherapeutikum miteinander gekoppelt. Die Kombination Sacituzumab-Govitecan (SG) richtet sich gegen TROP2.
- Eine Forschungsgruppe der MedUni Wien fand in einer kleinen Pilotstudie Hinweise darauf, dass sich die Präzisionsmedizin auch zur Therapieüberwachung bei Brustkrebs einsetzen lässt.
- Der Fingerschweiß von Brustkrebspatientinnen während einer Chemotherapie zeigte Stoffwechselveränderungen, die mit der Tumormasse zusammenhängen. Der Tumor sollte durch eine Chemotherapie „schrumpfen“.
- Auch die Spiegel und Wirksamkeit von Medikamenten wie Cyclophosphamid (ein Chemotherapeutikum) konnte die Forschungsgruppe im Fingerschweiß verfolgen.
- Diese Analyse ermögliche ein langfristiges Biomonitoring des Krankheitsverlaufs – und komme ohne Blutentnahme aus, so das Forschungsteam. Weitere Studien sollen jetzt folgen.
Quelle: MedUni Wien
Genetik und Präzisionsmedizin
Die Präzisionsmedizin nutzt Technologien wie die Genomsequenzierung oder das Next-Generation-Sequenzierung (NGS), um molekulargenetische Veränderungen (Mutationen) in Krebszellen ausfindig zu machen. Diese Analyse des genetischen Materials von Tumoren führen spezialisierte Labore durch. Wurde eine genetische Mutation nachgewiesen, können wiederum spezielle Therapien helfen, die sich gezielt gegen diese Veränderung richten.
- Manche Krebszentren bieten ein „Molekulares Tumorboard“ (MTB) an.
- Dies ist ein multidisziplinäres Gremium mit verschiedenen Fachleuten, beispielsweise aus der Onkologie, Molekularbiologie, Bioinformatik, Pathologie und Genetik.
- Auf Basis der klinischen Daten und der molekularen Eigenschaften der Krebszellen entwickeln sie ein passgenaues individuelles Therapiekonzept.
- Helfen kann ein MTB zum Beispiel, wenn keine Therapie nach den Leitlinien mehr möglich ist beziehungsweise diese keinen Erfolg verspricht. Auch bei seltenen Krebserkrankungen ist das MTB eine Möglichkeit
Einige Beispiele für genetische Marker, die bei Brustkrebs eine Rolle für die Wahl der Behandlung spielen:
- BRCA1 und BRCA2: Das Kürzel „BRCA“ bedeutet engl. „Breast Cancer“ und zu Deutsch „Brustkrebs“. Ein krankhaft verändertes BRCA1- oder BRCA2-Gen erhöht das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs sowie für einige weitere Krebsarten. Auch Männer können übrigens ein verändertes BRCA-Gen tragen und an Brustkrebs erkranken. Bei einer BRCA-Mutation können besondere Medikamente wirksam sein, sogenannte PARP-Inhibitoren. Sie wurden speziell für Personen mit einer BRCA-Mutation entwickelt. Wirkstoffe sind zum Beispiel Olaparib und Talazoparib.
- ESR1-Mutationen: Dies sind Veränderungen im Östrogenrezeptor-1-Gen, die vor allem bei metastasiertem, hormonempfindlichem und HER2-negativem Brustkrebs vorkommen. Diese Mutationen werden erst unter endokrinen Therapien erworben und können zur Behandlungsresistenz führen (die Antihormontherapie wirkt nicht mehr genügend). Entwickelt wurden spezielle Medikamente für Personen mit ESR1-Mutationen, die diese Resistenz überwinden und das Krebswachstum kontrollieren können.
- PIK3CA-Mutation: Bei einer Mutation im PI3KCA-Gen ist ein bestimmtes Enzym übermäßig aktiv, die sogenannte Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K). Es spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung zwischen den Zellen und beim Zellwachstum. Diese Mutation tritt oft bei einem HR-positiven und HER2-negativen Brustkrebs auf. Medikamente können das Enzym gezielt hemmen und die Übermittlung von Wachstumssignalen verhindern.
- TP53-Mutationen: TP53 ist ein sogenanntes Tumorsuppressorgen. Es beherbergt den Bauplan für das Eiweiß namens p53, das die Teilung entarteter Zellen verhindert. Dieses Gen kann bei vielen Krebsarten verändert sein, auch bei Brustkrebs. Die Art der Mutation wirkt sich zum Beispiel auf die Wahl der passenden Chemotherapie aus.
- NTRK-Fusionen: Die Verschmelzung von NTRK-Genen (Neurotrophe Tyrosin-Rezeptor-Kinase) kann ein „Krebstreiber“ sein. Verschiedene zelluläre Signalwege sind hier überaktiv. Eine Möglichkeit sind sogenannte TRK-Inhibitoren, etwa Larotrectinib und Entrectinib.
Zukunft der Brustkrebstherapie
Forschende arbeiten intensiv daran, noch weitere Zielstrukturen aufzuspüren, die als Angriffsziele für die (Brust)krebstherapie dienen könnten. Auch die Künstliche Intelligenz „KI“ könnte eine wichtige Unterstützung dabei sein. Durch maschinelles Lernen könnten sich zum Beispiel molekulargenetische Muster in bösartigen Tumoren leichter und schneller identifizieren und die passende Therapie finden lassen. KI kommt bereits in der Diagnostik von Krebserkrankungen zum Einsatz, etwa bei Brustkrebs. Bei der Interpretation von Mammographie-Bildern kann sie Fachleute aus der Radiologie unterstützen (nicht ersetzen).
Ein wesentlicher Punkt ist, dass in den Labors ausreichend getestet werden muss, damit solche besonderen Merkmale nachgewiesen werden und Menschen mit einer Krebserkrankung von neuen Therapien profitieren können. Oft sind sowohl molekulargenetische Tests als auch die Entwicklung zielgerichteter Medikamente gegen besondere Merkmale eine kostspielige Angelegenheit, die finanziert werden müssen.
Zusammengefasst: Die Brustkrebstherapie wird zukünftig vermutlich individuell zugeschnitten, zielgenau, effektiver und mit weniger Nebenwirkungen verbunden sein.
- Dies sind Studienprogramme des NCT Heidelberg zu personalisierter Diagnostik und maßgeschneiderten Therapien bei Brustkrebs.
- CATCH richtet sich an Frauen mit fortgeschrittenem, metastasiertem Brustkrebs. Auf der Basis von Veränderungen im Erbgut der Metastase möchten Ärztinnen und Ärzte individuell angepasste Therapiemöglichkeiten definieren.
- COGNITION richtet sich an Frauen mit Brustkrebs im frühen Stadium (I-III), für die eine neoadjuvante (vor der Operation) Chemotherapie empfohlen ist. Wenn der Tumor schlecht darauf anspricht, möchten Ärztinnen und Ärzte zusätzlich eine individuelle Therapie anbieten.
- Die Studien haben das Ziel, die personalisierte Medizin zukünftig noch mehr Betroffenen zugänglich zu machen.
- Weitere Infos finden Sie im Printratgeber „Präzisionsonkologie“ und beim NCT Heidelberg.
- Onkopedia Leitlinie „Präzisionsonkologie“, abgerufen am 6.3.2025
- NCT Heidelberg, Translationale medizinische Onkologie, Präzisionsonkologie, abgerufen am 6.3.2025
- Bundesärztekammer: Präzisionsmedizin: Bewertung unter medizinisch-wissenschaftlichen und ökonomischen Aspekten, abgerufen am 7.3.2025
- Deutsches Ärzteblatt, Präzisionsmedizin – Chancen und Risiken im Blick, abgerufen am 7.3.2025
- MedUni Wien, News: Fingerschweiß als Schlüssel zur Präzisionsmedizin bei Brustkrebs, abgerufen am 7.3.2025
Die Informationen auf dieser Seite können eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.