MammaMia! Jana, Du sagst, Brustkrebs sei ein Thema, das uns alle betrifft – direkt oder indirekt als Angehörige oder Freunde. Wann bist Du selbst erstmals mit der Erkrankung in Berührung gekommen?
Jana: Mich hat das Thema Brustkrebs zum ersten Mal mit elf Jahren erreicht. Mein Papa stand eines Abends bei meiner Schwester und mir im Kinderzimmer und hat uns gesagt: ‚Mama hat Brustkrebs‘. Sie war gerade einmal 32 Jahre alt. Die Tragweite dieser Erkrankung konnte ich damals noch gar nicht absehen, ich war ja noch ziemlich jung. Ich dachte aber von Anfang an, dass Brustkrebs etwas sehr Schlimmes sein muss, weil mein Vater Tränen in den Augen hatte. Er hat aber gesagt: Wir schaffen das!

Wie ist es Deiner Mutter und der gesamten Familie ergangen?
Die darauffolgenden Jahre waren ein ziemliches Auf und Ab. Meine Schwester und ich haben Mama sehr eng begleitet. Wir waren Jugendliche und hatten eigentlich unser eigenes Leben. Das war immer wieder von Krebstherapien durchbrochen. Manchmal ging es meiner Mama gut, manchmal schlecht. Leider hat sie mit 44 Jahren ihre Augen schließen müssen. Diese Erfahrung hat mich entscheidend geprägt. Tief im Inneren wusste ich, dass ich auch Brustkrebs bekommen würde. Mir erschien das fast vorprogrammiert. Woher ich diese Erkenntnis genommen habe, weiß ich nicht.
Wenn Du eine Vorahnung hattest, Du könntest selbst an Brustkrebs erkranken – was hast Du unternommen?
Meine Schwester hat mir im Jahr 2007 davon erzählt, dass es einen neuen Gentest gibt. Man kann heutzutage erfahren, ob man vielleicht ein Brustkrebsgen in sich trägt. Wenn in der Familie vermehrt Brustkrebs vorkommt, kann man selbst Trägerin eines veränderten Gens sein und an Krebs erkranken. Diesen genetischen Test habe ich noch im gleichen Jahr gemacht. Und tatsächlich – ich trage das Brustkrebsgen BRCA2 in mir. Für mich bedeutete das, dass ich mit einer bis zu 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkranken würde. Auch das Eierstockkrebsrisiko ist bei dieser genetischen Veränderung erhöht.
Und Deine Schwester, wie hat sie sich entschieden?
Meine Schwester hat den genetischen Test ebenfalls durchführen lassen – vor mir. Sie hat dieses Gen nicht. Das habe ich wirklich als großen Segen empfunden! Für mich war es leichter, selbst betroffen zu sein, als zusehen zu müssen, wie ein mir nahestehender Mensch vielleicht ebenfalls an Brustkrebs erkrankt.
Wie ging es für Dich nach dem positiven BRCA-Test weiter?
Ich habe mich für eine intensive Vorsorge entschieden. Zweimal im Jahr war ich bei einer Ultraschalluntersuchung und einmal im Jahr bei der Magnetresonanztomographie. Frauen mit einer BRCA-Mutation können an einer Tumorrisikosprechstunde in spezialisierten Zentren für familiären Brust-und Eierstockkrebs teilnehmen.
Heute sind diese Zentren deutschlandweit vertreten. Im Jahr 2007 gab es ein solches Zentrum in Hamburg nicht. Dort wohne ich. Also bin ich zweimal pro Jahr nach Kiel fahren. Heute ist ein solches Zentrum am Universitätsklinikum Eppendorf, dem UKE, angegliedert.
Durch eine intensive Vorsorge lässt sich Brustkrebs früh erkennen, aber nicht verhindern.
Stimmt, aber man kann dem Brustkrebs trotzdem einen Schritt voraus sein, wenn man gut informiert, aufgeklärt und in einer guten Betreuung ist. Ich möchte das Bewusstsein für die Vorsorge schärfen und auch für die Möglichkeit einer Gentestung, wenn in einer Familie Brustkrebs und andere Krebsarten gehäuft auftreten.
Es gibt auch prophylaktische Operationen, die das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs entscheidend senken können. Hast Du eine OP jemals in Erwägung gezogen?
Diese Frage habe ich schon oft gestellt bekommen. Tatsächlich habe ich mir vor der Brustkrebsdiagnose nicht wirklich Gedanken über risikoreduzierende Operationen gemacht. Ich habe mich in der Tumorrisikosprechstunde sehr gut aufgehoben gefühlt. Außerdem dachte ich immer, wenn man etwas Bösartiges feststellt, habe ich immer noch die Chance, rechtzeitig zu reagieren.
Es gibt übrigens auch Frauen, die ein verändertes BRCA 1 oder BRCA 2 tragen und Zeit ihres Lebens nicht an Krebs erkranken. Bei mir war manchmal der Gedanke da, dass ich trotz BRCA2-Mutation vielleicht ja doch keinen Krebs bekomme. Das war ein Argument, das für die Vorsorge gesprochen hat.
Solche Operationen haben Vorteile, aber auch einige Nachteile, mit denen man sich beschäftigen muss.
Ja, es klingt so einfach, sich prophylaktisch die Brüste, Eierstöcke und Eileiter entfernen zu lassen und dadurch keinen Brust- oder Eierstockkrebs zu bekommen. Eine Mastektomie kann für Frauen seelisch ziemlich belastend sein. Auch die Entfernung der Eierstöcke ist mit Nebenwirkungen verbunden. Wegen der Hormone fällt man sofort in die Wechseljahre. Sie bedeuten Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und manche haben mit Depressionen zu kämpfen. Das alles prophylaktisch in Kauf zu nehmen, war für mich persönlich keine Option. Ich war gesund und hatte keine Beschwerden. Außerdem habe ich befürchtet, dass ich von heute auf morgen vielleicht eine ganz andere Frau bin. Ich schwitze und habe Wechseljahresbeschwerden – das wollte ich nicht.
Mit welchen Gefühlen hast Du Dich auf den Weg zu den Untersuchungen nach Kiel gemacht?
Das war über viele Jahre eine große Herausforderung für mich. Ich musste zum Beispiel meinem Arbeitgeber jedes Mal erklären, dass ich einen Tag frei brauchte. Und auf dem Weg nach Kiel habe oft an meine Mama gedacht mit traurigen Gefühlen. Ich habe aber auch gewusst, dass ich die bestmögliche Vorsorge und Früherkennung bekomme und dass auf mich aufgepasst wird. Das haben mir die Ärzte versichert.
Mit 48 Jahren hast Du schließlich selbst eine Brustkrebsdiagnose bekommen. Warst Du darauf gefasst?
Obwohl ich mich oft und intensiv mit Brustkrebs beschäftigt und auseinandergesetzt habe – auf eine solche Diagnose kann man trotzdem nicht wirklich vorbereitet sein. Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg, weil Brustkrebs ja nicht einfach nur ein Schnupfen ist. Brustkrebs mit 48 Jahren ist – wie vermutlich für jede andere Frau – ein ziemlicher Schlag ins Gesicht.
Ich wusste aber, damit umzugehen und war ab dem Zeitpunkt der Diagnose in bestmöglicher Betreuung. Ich habe immer wieder Frauen getroffen, die diese Krankheit so tapfer, mutig und gut bewältigt haben und stark daraus hervorgegangen sind. Heute denke ich, dass ich mit der Genmutation ganz schön weit gekommen bin, wenn ich überlege, dass meine Mama schon mit 32 Jahren an Brustkrebs erkrankt ist.
Junge Frauen bekommen in der gynäkologischen Arztpraxis oft zu hören, dass sie viel zu jung für Brustkrebs sind.
Ja, und genau das ist falsch! Meiner Mama war ja auch noch so jung. An Brustkrebs erkranken immer mehr Frauen in jungen Jahren. Es trifft Töchter, Mütter, Großmütter – Frauen, die mitten im Leben stehen. Für Töchter ist es schlimm, wenn sie diesen Weg mit ihrer Mama mitgehen müssen. Das ist ein Schmerz, den man sein ganzes Leben mit sich trägt.
Nach der Diagnose Brustkrebs hast Du Dich für eine Mastektomie entschieden, eine Entfernung beider Brüste, obwohl der ärztliche Therapievorschlag weniger „einschneidend“ war. Warum?
Nach der Brustkrebsdiagnose stand es für mich außer Frage, diesen radikalen Weg zu gehen und mir beide Brüste abnehmen zu lassen. Diese Entscheidung habe ich schon viele Jahre in mir getragen. Denn für mich war es nur eine Frage der Zeit, wann die Diagnose Brustkrebs kommt. Der Vorschlag meines Arztes war damals, brusterhaltend zu operieren und anschließend zu bestrahlen. Ich habe ihm aber gesagt, dass ich mich von meinen Brüsten trennen möchte.
Im Nachhinein ist mir noch ein anderer Moment im Gedächtnis geblieben. Bei der Untersuchung des Gewebes der abgetragenen Brüste hatten Pathologen noch einen weiteren Tumorherd gefunden. Diesen hatte man zuvor überhaupt nicht auf den Bildern gesehen, auch nicht im MRT. Hätte ich mich nicht für eine komplette Mastektomie entschieden, wäre dieser Tumorherd mit Sicherheit irgendwann aufgekeimt.
Dein Arzt hat Dir vorgeschlagen, die Brüste gleich im Anschluss wieder aufbauen zu lassen.
Ja, die Brüste lassen sich heute mit verschiedenen Methoden rekonstruieren, zum Beispiel mit Silikonimplantaten oder Eigengewebe. Ich habe eine Nacht darüber geschlafen und mir überlegt, ob ich nicht mit beinahe 50 Jahren schöne, neue Brüste haben möchte. Ich konnte mir sogar die Größe aussuchen.
Du hast dich aber gegen eine Brustrekonstruktion entschieden …
Genau. Ich habe meine Brüste bis heute nicht wieder aufbauen lassen. Oft werde ich nach dem Warum gefragt. Für mich gab es einen ganz persönlichen Grund: Bei meiner Mama habe ich gesehen, dass die Narben nicht verheilt sind und sich die Wunde infiziert hat. Heute passiert das glücklicherweise nur sehr selten. Mit diesen Bildern vor Augen war es für mich aber klar, dass ich kein Implantat möchte. Ich wollte nur eine einzige Operation und danach sollte Schluss sein.
In der gleichen OP hast Du Dir zusätzlich die Eierstöcke entfernen lassen.
Von den Eierstöcken habe ich mich getrennt, um das Erkrankungsrisiko so gut wie möglich zu senken. Denn bei einer BRCA2-Mutation ist auch das Risiko für Eierstockkrebs erhöht. Ein Grund war, dass ich Mama bin, zwei Töchter habe und noch lange für meine Kinder da sein möchte. Den Verlust meiner Brüste und Eierstöcke habe ich gar nicht als so schlimm empfunden. Der Verlust meiner Mama prägt mich dagegen bis heute. Das möchte ich meinen beiden Töchtern ersparen.
Wie geht es Dir jetzt?
Meine Brustkrebserkrankung liegt nun sieben Jahre zurück und in dieser Zeit ist sehr viel passiert. Ich arbeite wieder, bin voll berufstätig und ich habe mehr zu mir selbst gefunden. Ich bin dankbar, so glimpflich davongekommen zu sein, und schätze meine Gesundheit heute noch viel mehr. Ich habe viel Selbstvertrauen entwickelt, meinen Körper neu entdeckt und mich so akzeptiert, wie ich bin.
Ich möchte anderen Frauen Mut machen und ihnen sagen, dass wir uns als Frauen nicht nur über unsere Brüste definieren. Wir sind viel mehr! Mir hat es sehr geholfen, meine Seele mit auf diese Reise zu nehmen und mein Leben mit schönen Dingen zu füllen. Ich stelle mich heute auch mal an erste Stelle – das Leben ist kostbar und Gesundheit unbezahlbar.
Du hast selbst zwei Töchter – was hast Du Deinen Kindern über die familiäre Krebsveranlagung gesagt?
Ich bin mit meiner genetischen Veranlagung und mit meiner Brustkrebserkrankung von Beginn an offen mit meinen Kindern umgegangen. Allerdings habe ich darauf geachtet, dass sie sich nicht sorgen und ängstigen. Sie sind also gut informiert und müssen ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Deine Töchter könnten das veränderte BRCA-Gen ebenfalls geerbt haben. Für welchen Weg haben sie sich entschieden?
Der Gentest steht für meine beiden Töchter unmittelbar bevor. Sie sind heute 20 und 22 Jahre alt. Ich habe sie aufgeklärt und zum Test ermutigt, sobald sie volljährig sind. Der Zeitpunkt für diesen genetischen Test passt allerdings nie richtig ins Leben. Der Test selbst ist ja keine große Sache, aber die große Geschichte folgt dann. Habe ich das Gen oder nicht? Und wenn ja: was dann?
Die Chance, ein krankheitsauslösendes Brustkrebsgen zu erben, liegt bei 50 zu 50.
Ja, es ist ein bisschen wie das Glas, das eben halb voll oder halb leer sein kann. Ich hoffe eigentlich immer, dass es beide Töchter nicht trifft. Aber ich weiß, dass das ein bisschen schön geredet ist. Die Entscheidung meiner Töchter, sich genetisch testen zu lassen, betrifft auch mich als Mutter. Ich muss überlegen, welche Tochter ich an die Hand nehme und begleite. Ängste hat nicht nur die unmittelbar Betroffene. Auch als Schwester, Mutter oder Vater wird man mit Verlustängsten und vielen Sorgen konfrontiert. Tatsache ist: Wir müssen uns unseren Sorgen und Ängsten stellen.
Hast Du einen Rat für andere Frauen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
Es gibt kein Pauschalrezept, weil jeder Mensch anders reagiert. Man sollte aber informiert sein, sich Zweitmeinungen einholen und offen mit der möglichen Diagnose umgehen. Das kann Mut machen und Sorgen nehmen. Außerdem ist man ein Stück weit nicht allein.
Mir hat es geholfen, dass ich mit meiner Geschichte sehr offen umgegangen bin. Es haben sich Türen geöffnet, die mir Möglichkeiten zum Austausch gaben. Ich bin an besonderen Projekten zum Thema Brustkrebs gewachsen und konnte dadurch mein Selbstvertrauen stärken. Meine Mama hat gar nicht darüber gesprochen, dass sie an Brustkrebs erkrankt war. Sie hat sich auch geschämt, dass sie nur noch eine Brust hatte. Dass das niemand wissen durfte, hat uns Kinder sicher auch beeinflusst. Wir konnten unsere Ängste mit niemandem teilen.
Meine Botschaft ist deshalb: sich informieren, aus Angst Kraft schöpfen, niemals aufgeben und positiv für sich den richtigen Weg finden!
Die Informationen auf dieser Seite können eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.