Vision Zero – geballte Kraft gegen Krebs

Vision Zero
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Die Initiative Vision Zero hat sich zum Ziel gesetzt, Krebsfälle zu vermeiden und die Zahl der Krebstoten in Richtung Null zu bringen. Die wichtigsten Infos zum Konzept und wie das gelingen könnte.  

Vision Zero ist eine Initiative, die Krebserkrankungen wie Brustkrebs den Kampf angesagt hat. Sie hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, die Zahl der Krebstoten gegen Null zu bringen. Daher rührt auch der Name Vision Zero, also Vision Null. Niemand soll mehr unnötigerweise an Krebs erkranken oder sterben müssen. 

Ursprünglich wurde das Konzept für den Arbeitsschutz und die Verkehrssicherheit entwickelt und zielte auf die Vermeidung von Todesfällen ab. Prof. Christof von Kalle, der Initiator von Vision Zero e.V., erklärt: „Wir haben uns überlegt, wie wir in unserem normalen Leben mit tödlichen Gefahren umgehen, zum Beispiel im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, in der Luftfahrt. In all diesen Lebenswelten haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir vermeidbare Todesfälle nicht akzeptabel finden. Ich habe mich gefragt, ob wir das in der Medizin und der Onkologie genauso machen? Nein, wir wenden nicht alles an, was wir tun können.“ So entstand die Idee, Vision Zero in die Onkologie zu bringen. „Inzwischen ist es ein Think Tank, der versucht, diesen Gedanken weiter in den Köpfen zu verankern – mit Erfolg“, sagt Onkologe von Kalle im Webcast mit Mamma Mia! 

Mamma Mia! Webcast

Gesundheitspolitik und Krebs - was Vision Zero für Patienten erreichen möchte

Vision Zero versteht sich nicht allein als medizinische, sondern auch als gesellschaftliche und politische Bewegung. Sie setzt auf die Krebsprävention, eine frühzeitige Diagnostik, gezielte Therapien und die Verantwortung der politischen Entscheidungsträger und Akteure. In einem gemeinsamen Kraftakt soll es gelingen, Todesfälle aufgrund von Krebserkrankungen so weit wie möglich zu vermeiden.  

An der Plattform Vision Zero sind verschiedene Partner beteiligt, unter anderem Medizinische Fachgesellschaften, Krebszentren, Forschungseinrichtungen, Patientenvertretungen und politische Akteure. Auch internationale Netzwerke unterstützen das Ziel, Krebserkrankungen in Europa langfristig zu besiegen. 

Krebs ist eine der häufigsten Todesursachen

In Deutschland sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit rund 350.000 Todesfällen noch immer die Nummer eins unter den häufigsten Todesursachen. Auf Platz zwei folgen jedoch schon Krebserkrankungen mit etwa 230.000 Todesfällen. Zu diesen Zahlen kommt das Statistische Bundesamt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO nennt Krebserkrankungen als führende Todesursache weltweit. Im Jahr 2020 war Krebs für nahezu zehn Millionen Todesfälle verantwortlich – eine von sechs Personen starb an einer Krebserkrankung. 

Die häufigsten Krebsarten sind Brustkrebs, Prostatakrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs, berichtet das Robert Koch-Institut (RKI). Allein in Deutschland erkranken rund 500.000 Menschen jedes Jahr neu an Krebs. Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Krebserkrankung, die in den letzten fünf Jahren diagnostiziert wurde. 

Die WHO schätzt, dass sich weltweit 30 bis 50 Prozent aller Krebsfälle durch Vorbeugung und Ausschaltung von Risikofaktoren verhindern ließen. Solche Risikofaktoren sind unter anderem Rauchen, Übergewicht, Alkoholkonsum, eine ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel. Diese Faktoren gehören zum Lebensstil und lassen sich beeinflussen. Daneben sind Infektionen mit humanen Papillomviren (HPV) und Hepatitisviren der WHO zufolge für ungefähr 30 Prozent der Krebsfälle verantwortlich. Es gibt eine HPV-Impfung, die viele Fälle von HPV-bedingten Krebserkrankungen verhindern kann. Bei Lungenkrebs spielen neben dem Rauchen besonders Luftschadstoffe und die Luftverschmutzung eine Rolle. An diesen Faktoren könnte man ebenfalls ansetzen. 

Auch wenn es keinen 100-prozentigen Krebsschutz gibt: Viele Krebserkrankungen und Todesfälle wären vermeidbar. Außerdem ließe sich Krebs besser heilen, wenn er frühzeitig diagnostiziert und behandelt würde, betont die WHO. 

Zehn Themenfelder von Vision Zero

Eine Krebsdiagnose soll kein unabwendbares Schicksal mehr sein. Daher gilt es, alle erdenklichen und möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um Leben zu retten und Todesfälle durch Krebs zu vermeiden. Dies soll durch Forschung an neuen Diagnosemethoden und Therapien, eine bessere Versorgung von Menschen mit Krebs, Bildung und Vermittlung von Gesundheitswissen zur Prävention sowie Veränderungen im Gesundheitssystem gelingen. Hier setzt Vision Zero an.

1. Frühe Aufklärung

Gesundheitliche Vorsorge sollte in Deutschland schon in der Schule ein Thema und fest im Lehrplan verankert sein. Lehrerinnen und Lehrer sollten die Themen zur Vorsorge kontinuierlich behandeln. Besonders wichtig ist es, mehr Aufmerksamkeit für die Gefahren durch das Rauchen oder durch Alkoholkonsum zu schaffen. Auch der Impfschutz, vor allem die HPV-Impfung für Mädchen und Jungen, sollte in der Schule ein Thema sein.

2. Ernährung

Eine gesunde Ernährung, die reich an Vitaminen, Mineralien sowie Nährstoffen wie Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen ist, unterstützt die Gesundheit und kann das Risiko für viele Krankheiten senken. Außerdem haben Menschen, die sich gesund ernähren, häufiger ein gesundes Körpergewicht. Die Bevölkerung sollte umfassende Informationen darüber erhalten, wie eine gesunde Ernährung aussieht. Die Schule, Ausbildungsbetriebe, Krankenkassen, Apotheken, Ärzte und Medien sind hier gefragt, entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen.  

3. Prävention

Die Prävention hat großes Potenzial, besitzt aber in Deutschland nur einen geringen Stellenwert. Es gibt zu wenig Präventionsangebote, deren Kosten die gesetzlichen Krankenkassen tragen. Beispiele: Ausstiegsprogramme für Raucherinnen und Raucher oder gezielte Abnehm- und Bewegungsprogramme bei Übergewicht. Vielmehr liegt der Schwerpunkt im deutschen Gesundheitssystem häufig auf den Therapien, wenn sich eine Erkrankung wie Krebs schon entwickelt hat. 

Die Krebsprävention nimmt die Hauptrisikofaktoren für Krebserkrankungen in den Blick: das Rauchen, eine ungesunde Ernährung, den Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Infektionen wie eine HPV-Infektion oder Hepatitis. Auch Umweltfaktoren und den beruflichen Kontakt mit Schadstoffen rückt Vision Zero bei der Prävention in den Mittelpunkt. Dr. Georg Ralle, Generalsekretär von Vision Zero e.V., sagt: „Ich muss eine Krebserkrankung vermeiden können oder im ungünstigen Fall, wenn ich erkranke, ein optimales Therapiekonzept bekommen.“ 

Wie gesund lebt Deutschland?

Der Report 2023 der Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zeichnet zum Lebensstil in Deutschland folgendes Bild:

  • Nicht einmal jede fünfte Person (17 Prozent) führt ein rundum gesundes Leben und erreicht die Benchmark, was die körperliche Aktivität, Ernährung, den Alkohol- und Tabakkonsum sowie das Stressempfinden betreffen.
  • Frauen haben die Nase vorn: Jede fünfte Frau (20 Prozent) meistert alle Benchmarks, während sie nur jeder siebte Mann (14 Prozent) schafft.
  • Besonders kritisch ist das lange Sitzen: Im Schnitt sind es mehr als neun Stunden pro Tag – eine halbe Stunde mehr als noch während der Corona-Pandemie. Die Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen sitzt sogar mehr als zehn Stunden pro Tag.

Die Initiative fordert die Politik daher auf, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention zu ergreifen. Sie solle die Bevölkerung über die Krebsrisiken besser aufklären und durch Bildungsangebote Verhaltensänderungen herbeiführen. Wichtig sind aber auch Maßnahmen wie ein absolutes Tabakwerbeverbot, eine höhere Steuer auf ungesunde fett- oder zuckerreiche Lebensmittel sowie Impfprogramme gegen HPV und Hepatitis B. Die Investitionen in die Prävention müssten vervielfacht werden. Ein Vorschlag ist die Gründung einer Präventionsstiftung, in die zum Beispiel Gelder aus der Tabaksteuer einfließen könnten. 

4. Krebsfrüherkennung

Die Krebsfrüherkennung ist ein wesentlicher Schlüssel für die meisten Krebserkrankungen. Je früher Ärztinnen und Ärzte einen Tumor diagnostizieren, desto schonender lässt er sich meist behandeln und desto besser sind auch die Heilungschancen. In Deutschland gibt es gesetzliche Früherkennungsprogramme (Screenings) für einige Krebsarten, zum Beispiel für Brustkrebs als Mammographie-Screening, Darmkrebs oder Gebärmutterhalskrebs. Für Lungenkrebs wurde ein Screening für  Risikogruppen beschlossen. Ab April 2026 soll es angeboten werden. Auch die Früherkennung von Prostatakrebs soll sich in Deutschland zukünftig verbessern. Obwohl die gesetzlichen und privaten Krankenkassen und Krankenversicherungen die Früherkennungsuntersuchungen bezahlen, nehmen nicht alle Berechtigten das Angebot wahr.  

Vision Zero hat sich zur Aufgabe gemacht, mehr Menschen zur Früherkennung zu motivieren. Es gilt, die Programme zur Früherkennung leichter zugänglich zu machen, die jeweilige Zielgruppe besser anzusprechen, regelmäßig familiäre Krebsbelastungen zu erfragen und Technologien wie die Flüssigbiopsie (englisch Liquid Biopsy) oder die Künstliche Intelligenz KI zur Diagnose von Krebserkrankungen zu nutzen. 

5. Diagnostik

Die molekulare Diagnostik wird bei Krebserkrankungen immer wichtiger. Manche Krebszellen haben besondere Merkmale, die sich für die Krebstherapie nutzen lassen. Diese biologischen und molekulargenetischen Eigenschaften lassen sich durch spezielle Tumoranalysen herausfinden. In Deutschland sind solche molekularen Tests aber noch nicht flächendeckend verbreitet.  

Vision Zero fordert daher, die finanziellen Mittel zum raschen Ausbau bundesweiter Netzwerke für die molekulare Diagnostik bereitzustellen. Sie ist die Voraussetzung für individualisierte und maßgeschneiderte Therapiekonzepte, die Menschen mit einer Krebserkrankung direkt zugutekommen. Besonders wichtig sei eine enge Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen, Universitätskliniken, Krankenhäusern und den onkologischen Schwerpunktpraxen. 

6. Krebstherapie

Bei der Versorgung von Menschen mit einer Krebserkrankung bestehen in Deutschland Unterschiede, zum Beispiel in Abhängigkeit von der Region oder dem Krankenhaus. In größeren Städten wie Berlin, München oder Hamburg gibt es oft große Universitätskliniken mit sogenannten Comprehensive Cancer Centers (CCC) sowie Kliniken mit zertifizierten Krebszentren, etwa für Brustkrebs. In ländlichen Gebieten sind solche Zentren in der Regel dünn gesät und die Anfahrtswege sind weit. 

Vision Zero setzt sich für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nach den neuesten wissenschaftlichen Standards und Erkenntnissen ein. Dazu gehören unter anderem die Beratung, Behandlung und Begleitung von Menschen mit einer Krebserkrankung in zertifizierten Krebszentren und durch Tumorboards. Dort beraten Fachpersonen verschiedener Disziplinen jeden Fall einzeln und überlegen die bestmögliche Behandlung.  

Alle Menschen mit Krebs sollen neue Medikamente und Therapien erhalten können – für eine höhere Überlebensrate und eine bessere Lebensqualität. Dafür müssen neue Therapien aus der Forschung schneller im klinischen Alltag und bei den Krebskranken ankommen. Auch der Zugang zu klinischen Studien, in denen neue Medikamente und Therapien auf ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet werden, soll einfacher möglich sein.  

Vision Zero möchte außerdem die Versorgungsforschung ausbauen. Es soll klarer werden, warum manche Menschen mit Krebs schlechter versorgt sind, und wie sich das ändern lässt. „Wir haben eine Art Masterplan erarbeitet, damit das, was an Innovation möglich ist, auch in Deutschland passiert“, erklärt Ralle.

7. Digitalisierung und Daten

Bei einer Krebserkrankung fallen große Datenmengen an, zum Beispiel bei der Diagnostik mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall, Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder Szintigraphie. Auch die Erstellung von molekularen Tumorprofilen umfasst große Datenmengen. 

Vision Zero setzt sich für den effektiven, aber ethisch verantwortungsvollen Einsatz dieser Daten ein, unter anderem in Form einer digitalen Patientenakte. Ziel ist es, Muster zu identifizieren, Risiken früh zu erkennen und Behandlungen zu verbessern. „Die Digitalisierung ist der Generalschlüssel für eine innovative Medizin“, sagt Ralle.  

Einen Beitrag leisten könnten zum Beispiel Krebsregister, KI sowie der Austausch medizinischer Daten zwischen verschiedenen technischen Systemen. „Viele Patientinnen und Patienten in der Onkologie sind bereit, ihre Daten zu spenden“, sagt Dr. Ruth Hecker, Chefbeauftragte für Patientensicherheit am Universitätsklinikum Essen. Besonders wichtig sind jedoch Datenschutz und Patientenrechte. Es gilt, die Daten sinnvoll und so sparsam wie möglich zu nutzen.

8. Patientenkompetenz

Patientinnen, Patienten und die jeweiligen Selbsthilfeorganisationen müssten laut Vision Zero stärker in die Prozesse der Diagnostik, Therapie und ins Leben nach oder mit einer Krebserkrankung einbezogen werden. Ärztinnen, Ärzte und Krebserkrankte sollten gleichberechtigte Partner bei der Behandlung sein. Dies ist das Prinzip der partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making, SDM). Auch ihre Wünsche sind wichtig, damit eine Behandlung erfolgreich ist. Es gilt, die Patientenkompetenz und die Patientensicherheit zu stärken.

9. Psychoonkologie

Die Psychoonkologie trägt der Tatsache Rechnung, dass eine Krebserkrankung nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche betrifft. Eine Krebsdiagnose ist mit vielen Sorgen und Ängsten verbunden. Daher sollten Krebskranke sowie ihre Angehörigen das Angebot einer psychoonkologischen Betreuung und Begleitung erhalten. In ländlichen Gebieten mangelt es oft noch an Versorgungsangeboten, die auf die Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind. 

10. Pflege und Reha

Menschen mit einer Krebserkrankung brauchen pflegerische Unterstützung von onkologisch ausgebildeten Fachpersonen. Diese bereits bestehenden Ausbildungs- und Studiengänge gilt es weiterzuentwickeln. Vor allem bei einer chronischen Krebserkrankung brauchen Betroffene und Angehörige oft mehr Unterstützung in ihrem Alltag und bei schwierigen Situationen. 

Vision Zero als Auftrag der Gesellschaft

Vision Zero richtet sich nicht nur an die Medizin, sondern an die gesamte Gesellschaft mit allen Akteuren. So muss die Politik Strukturen und Bedingungen schaffen, welche die Krebsprävention fördern und die Behandlung sicherstellen. Bildungseinrichtungen wie die Schulen müssen Gesundheitskompetenz vermitteln, schon von Kindesbeinen an. Wirtschaftsunternehmen sollten in Forschung investieren und gleichzeitig Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden übernehmen. Medien sollen wissenschaftlich fundiert, evidenzbasiert, unabhängig und ausgewogen über Krebs berichten. 

Die Umsetzung dieses Konzepts ist mit einigen Herausforderungen verbunden. So kostet zum Beispiel die Forschung viel Geld. Die Entwicklung neuer Diagnosemethoden und Therapien ist teuer. Auch die Politik könnte Maßnahmen ergreifen, um komplette Werbeverbote für Zigaretten und andere Rauchwaren einzuführen oder alkoholische Getränke teurer zu machen. Patientinnen und Patienten sollen sich gut informieren und stärker in Gesundheitsfragen einbringen. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, die guten Ansätze sind vorhanden.  

Ralle fasst zusammen: „Wir möchten dafür sorgen, dass möglichst niemand mehr an Krebs sterben muss – weil wir die Möglichkeiten dazu haben.“ 

Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Informationen verständlich zu vermitteln. Die Informationen können jedoch eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.

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