Mamma Mia › Brustkrebs › Brustkrebs-Behandlung › Brustkrebs: „Eine Breast Care Nurse ist im Grunde überall“
MammaMia! Frau Kuhlmann*, Sie arbeiten als Breast Care Nurse oder zu Deutsch „Brustschwester“. Was ist das genau?
Sandra Kuhlmann: Eigentlich bin ich eine Pflegeexpertin für Frauen mit Brusterkrankungen, auch für gutartige. Aber der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Onkologie, also auf Brustkrebs. Der Begriff ‚Breast Care Nurse‘ ist in Deutschland noch weitgehend unbekannt und anders als in anderen Ländern nicht etabliert. Manche meiner Patientinnen sagen auch einfach ‘Titti-Tante‘. Ich finde das nicht so unfreundlich oder respektlos, wie es vielleicht klingen mag, sondern es ist schön, dass auch Humor dabei mitspielt. Er kann ja in vielen Situationen helfen, auch bei einer Brustkrebserkrankung. Die Bezeichnung zeigt jedenfalls, dass es eine Ebene zwischen mir und den Frauen gibt.
Wenn Sie Ihren Arbeitsalltag kurz in Stichpunkten beschreiben müssten – wie sieht er aus?
Vielfältig, kann ich nur sagen! Natürlich bin ich zu allererst bei den Frauen mit Brustkrebs und spreche mit ihnen. Ich informiere, erkläre, begleite und versorge sie, zum Beispiel ihre OP-Wunden. Manchmal ist es auch wichtig, zu übersetzen. Denn nach der Diagnose Brustkrebs es nicht für jede Frau gleich verständlich, in welche Situation sie geraten ist. Ich erkläre zum Beispiel, wie eine Chemotherapie oder Bestrahlung abläuft. Und es gilt, Brücken zu schlagen, Schnittstelle zu sein und zu vermitteln, zum Beispiel Termine zwischen den Frauen und der Psychoonkologie, dem Sozialdienst oder dem Sanitätshaus. Kurz gesagt: Ich bin einfach da für die Frauen.
Auch in sämtliche Abläufe und Strukturen der Klinik bin ich eng eingebunden. Das heißt: E-Mails beantworten, Kongresse organisieren oder den Prozess der Zertifizierung als Brustzentrum begleiten. Sie sehen, eine Brustschwester ist im Grunde überall – ein Mädchen für alles, wenn Sie so wollen.
Sie begleiten Frauen mit Brustkrebs ab der Diagnose durch alle Phasen der Erkrankung. Wie helfen Sie ihnen?
Oft sind es die kleinen Dinge: da sein, am Bett sitzen, zuhören, Informationen zusammenfassen und dafür Sorge tragen, dass sie ankommen und Frauen ihre Lage begreifen. Nahezu alle Brustkrebspatientinnen in der Klinik bekommen mich eines Tages zu Gesicht. Ich bin bei Visiten dabei, bei Entlassungsgesprächen und suche auch selbst den Kontakt zu den Frauen.
Sie bekommen von mir außerdem Infomaterialien, die sie in Ruhe durchlesen können. Wenn ihnen etwas unklar ist, können sie mich jederzeit ansprechen. Sie können mich alles fragen, was ihnen in den Kopf kommt. Ich sagen ihnen immer: ‚Es gibt keine komischen Fragen‘. Manche möchten alles bis ins Detail wissen, andere überhaupt nichts. Frauen sind eben sehr unterschiedlich.
Außerdem gebe ich ihnen eine Telefonnummer, unter der sie sich melden können. Manche möchten auch nicht gleich sprechen, wenn sie bei uns auf der Station sind, sondern sie rufen erst einige Wochen oder sogar Jahre später an. Sie wollen erst im Rückblick wissen, was ihnen damals genau widerfahren ist. Auch das ist bei uns in der Klinik möglich. Die Frauen sollen sich mitteilen können, wenn ihre Gedanken Karussell fahren. Ich begleite sie in allen Phasen der Brustkrebserkrankung und signalisiere ihnen, dass sie nicht allein sind – auch in einer palliativen Situation, wenn sich Metastasen gebildet haben und der Brustkrebs nicht mehr heilbar ist. Letztlich gehört auch die Sterbebegleitung dazu.
Auch Angehörige leiden ja oft bei einer Krebserkrankung mit – können sie sich ebenfalls an Sie wenden?
Ja, natürlich! Ich habe ich auch für die Angehörigen ein offenes Ohr. Die Brustkrebserkrankung betrifft ja nicht nur die Frauen, sondern auch das Umfeld. Angehörige haben oft große Ängste und einen hohen Informationsbedarf. Wir können zum Beispiel Adressen und Kontakte zu Angehörigengruppen vermitteln. Oft sind Kinder im Spiel, um die wir uns ebenfalls kümmern. Es gibt besondere Projekte für Familien, Spielplätze und sogar Wohnungen auf dem Gelände. Unser Motto: schwere Lasten von kleinen Schultern nehmen.
Ärzte und Ärztinnen stehen oft unter enormem Zeitdruck – Sie dagegen bringen mehr Zeit mit.
So ist es. Ich darf mir bewusst Zeit nehmen. Und das ist auf jeden Fall von Vorteil für die Frauen, aber nicht nur für sie. Viele Ärzte und Ärztinnen sind dankbar, dass ich ihnen vieles abnehmen kann. Ich helfe zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen oder übernehme Informationsgespräche. Ich entlaste sie also.
Ihrer Erfahrung nach – was bewegt Frauen mit einer Brustkrebserkrankung am meisten?
Interessant finde ich, dass viele Frauen ihre eigene Situation und Befindlichkeit nicht als Erstes thematisieren. Vielmehr sorgen Sie sich um ihre Kinder, Partnerschaft oder ihre Verwandten. Viele treibt auch die Frage um, ob und wann man ihnen ihre Krankheit vielleicht ansieht, etwa wenn bei einer Chemotherapie die Haare ausfallen.
Andere Frauen fühlen sich in eine Maschinerie gesteckt, aus der es gefühlt kein Entkommen gibt. Ich kann ihnen aber helfen, sich darin zurechtzufinden und gut durch alle Therapien zu kommen. Einige Frauen haben auch unschöne Bilder im Kopf, weil ihnen jemand aus dem Umfeld ‚Horrorgeschichten‘ erzählt hat. Sie verbinden eine Chemotherapie sofort mit dem Brecheimer in der Ecke. Dann sage ich ihnen, dass dies nicht so sein muss und es heute gute Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen gibt.
Vor einer Chemotherapie fürchten sich wohl die meisten Frauen. Mit einem Biomarkertest lässt es sich aber inzwischen feststellen, ob eine Frau sie braucht – oder eben nicht. Auch ein Thema für Sie als Brustschwester?
Die Krebstherapie obliegt allein den Ärztinnen und Ärzten, die ja an einem zertifizierten Brustzentrum in einem Tumorboard eng zusammenarbeiten. Sie müssen einer Frau sagen, welche Behandlungsoptionen sie hat und ob ein solcher Biomarkertest für sie in Frage kommt. Es müssen ja bestimmte Voraussetzungen dafür erfüllt sein. Zum Beispiel muss der Brustkrebs hormonempfindlich sein. Ich erkläre den Frauen jedoch die Möglichkeit des Tests näher, wenn etwas unklar geblieben ist. Ich wirke also unterstützend.
Wer Breast Care Nurse werden möchte – welche Voraussetzungen sollte jemand mitbringen?
Empathie, Verständnis, Leidenschaft, Motivation und Lust an der Arbeit, würde ich sagen. Wichtig sind aber auch Zurückhaltung und die Fähigkeit, etwa aushalten zu können. Es geht nicht darum, immer gleich etwas zu tun, zu sagen oder eine Lösung anzubieten. Manchmal heißt es einfach: Warten.
* Sandra Kuhlmann ist Stationsleiterin und Onkologische Pflegefachkraft an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM).
Unser Ziel ist es, wissenschaftliche Informationen verständlich zu vermitteln. Die Informationen können jedoch eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.