Geriatrisches Assessment bei Krebs

Redaktion Mamma Mia!

Geriatrisches Assessment
© iStock / Jacob Wackerhausen
Ein geriatrisches Assessment (GA) ist ein „Check-up“ für ältere Menschen, zum Beispiel mit einer Krebserkrankung. Das GA soll wichtige Informationen für die Planung der Krebstherapie und der Pflege liefern.

Geriatrisches Assessment (GA) ist ein strukturierter Prozess, mit dem Ärztinnen und Ärzte die körperliche, geistige und seelische Gesundheit sowie die soziale Situation eines älteren Menschen erfassen und beurteilen möchten. Das Wort „Geriatrie“ bedeutet so viel wie „Altersmedizin“ oder „Altersheilkunde“. Dieser Zweig der Medizin hat die Krankheiten von älteren Menschen im Blick. Der Begriff „Assessment“ kommt aus dem Englischen und lässt sich mit “Einordnung” oder “Bewertung” übersetzen.  

Das geriatrische Assessment wird zukünftig vermutlich an Bedeutung gewinnen, weil die Bevölkerung immer älter wird. So wird es auch immer mehr alte und auch kranke Menschen geben. Das Alter ist ein wesentlicher Risikofaktor für Krebserkrankungen wie Brustkrebs oder Gebärmutterkrebs 

Warum ist ein geriatrisches Assessment bei älteren Menschen mit Krebs wichtig?

Menschen können trotz des gleichen biologischen Alters sehr unterschiedlich sein, was ihren gesundheitlichen Zustand angeht. Manche sind körperlich noch sehr leistungsfähig, können ihren Alltag aktiv gestalten und haben keine weiteren schweren Begleiterkrankungen. Andere bringen dagegen schon mehrere Grunderkrankungen mit, manche sind pflegebedürftig und auf Hilfe angewiesen. Häufig im Alter sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzmuskelschwäche sowie Stoffwechselstörungen wie die Zuckerkrankheit (meist Diabetes mellitus Typ 2).  

Auch Demenzerkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit kommen in hohem Lebensalter häufiger vor. Bei dieser Erkrankung sind die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Zudem müssen viele ältere Menschen aufgrund ihrer Erkrankungen mehrere Medikamente einnehmen. „Polymedikation“ ist der Fachbegriff dafür.  

Auch das soziale Umfeld von Seniorinnen und Senioren kann unterschiedlich sein. Manche Menschen leben alleine, haben keine Kinder oder die Familie wohnt weit entfernt. Andere haben vielleicht eine Partnerin oder einen Partner, die oder der womöglich ebenfalls älter und krank ist. Manche sind dagegen gut in feste soziale Strukturen wie die Familie, Freunde und Bekannte eingebettet. Sie können während ihrer Krebstherapien Hilfe und Unterstützung von anderen bekommen.  

Manche Behandlungen erfordern zum Beispiel eine regelmäßige Anreise ins Krankenhaus oder in die onkologische Facharztpraxis. Diese Anreisen müssen organisiert werden. Auch während der Krebstherapien muss der Alltag für ältere Menschen möglichst reibungslos funktionieren. Es sind viele Fragen zu klären, zum Beispiel, wer einkauft,  sich um den Haushalt oder den Hund kümmert.  

Das geriatrische Assessment bei Krebs nimmt diese und andere Faktoren genauer unter die Lupe. Damit bewerten Ärztinnen und Ärzte die gesundheitliche und soziale Situation eines älteren Menschen ganzheitlich. Krebstherapien – ob auf Heilung abzielend (kurativ) oder palliativ (wenn keine Heilung mehr möglich ist) – sind mit einigen Nebenwirkungen verbunden. Diese muss ein älterer Mensch auch „verkraften“ können. Das geriatrische Assessment versucht daher, die körperliche und seelische Belastbarkeit und damit auch die Behandlungsfähigkeit eines betagten Menschen einzuschätzen. Die Ergebnisse des geriatrischen Assessments fließen in die Therapieentscheidung bei einer Krebserkrankung mit ein, zum Beispiel für oder gegen eine Chemotherapie 

Das geriatrische Assessment bei krebskranken Menschen hat verschiedene Ziele: 

  • Anhand der Bewertung und Einstufung der Gesundheit und des sozialen Umfelds versuchen Ärztinnen und Ärzte, die bestmöglichen, auf den älteren Menschen zugeschnittenen Behandlungen zu finden. Sie sollen ihre persönliche Situation, aber auch die Wünsche, Präferenzen und Möglichkeiten berücksichtigen.  
  • Außerdem lassen sich mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen einer Behandlung besser vorhersagen. Dies gilt besonders für eine Chemotherapie, die verschiedene Nebenwirkungen mit sich bringen kann. Manche ältere Menschen gelten als belastbar und können auch eine aggressivere Behandlung tolerieren, während für gebrechlichere Menschen vielleicht eine schonendere Therapie notwendig ist. So lassen sich Über- und Untertherapien womöglich besser vermeiden. 
  • Wichtig ist es auch, durch besondere Maßnahmen die gesellschaftliche Teilhabe und die Selbstständigkeit (Autonomie) eines älteren Menschen zu bewahrend und zu fördern.  

Screening-Instrumente zur Risikoerkennung bei Krebspatienten

Das geriatrische Assessment kann dabei helfen, dass weniger ältere Menschen sterben oder in Pflegeheime müssen. Ziel ist es, die medizinische Versorgung von älteren kranken Menschen ganz allgemein zu verbessern. 

Das GA geschieht in einer strukturierten und standardisierten Form. Als Instrumente zur Erfassung des allgemeinen Gesundheitszustandes eines älteren Menschen sowie der sozialer Umgebung kommen in der Regel standardisierte Fragenbögen zum Einsatz.  

Beim geriatrischen Assessment gibt es prinzipiell zwei Strategien: 

  • Screening: Dadurch versuchen medizinische Fachleute zunächst jene älteren Menschen zu identifizieren, die ein umfassendes geriatrisches Assessment benötigen. Es gibt verschiedene Screening-Werkzeuge, zum Beispiel das G8-Screening (siehe unten). Ist das Ergebnis auffällig, folgt ein umfassendes geriatrisches Assessment. 
  • Umfassendes geriatrisches Assessment (engl. Comprehensive Geriatric Assessment = CGA): Es lässt sich mit einem großen „Check-up“ vergleichen. An der Durchführung sind verschiedene Berufsgruppen beteiligt. Es hilft herauszufinden, an welchen Stellen (medizinisch und im Alltag) ältere Menschen Unterstützung brauchen, aber auch, wo ihre Fähigkeiten und Ressourcen liegen. Das CGA liefert dem Behandlungsteam wesentliche Informationen für die Therapie- und Pflegeplanung. Außerdem erhält es Informationen zur Vorherzusage, wie es dem älteren Menschen in Zukunft gehen könnte. Das CGA ist umfangreicher und daher auch zeitaufwändiger. Zum Einsatz kommt es bei komplexeren Fällen oder wenn intensivere Krebstherapie geplant sind.

G8-Screening

Das G8-Screening ist ein häufig eingesetztes Instrument im Rahmen des geriatrischen Assessments. Ärztinnen und Ärzte versuchen ältere Menschen zu identifizieren, die ein umfassendes geriatrisches Assessment benötigen. Sie erfassen folgende acht Dimensionen und Parameter mit Hilfe verschiedener Instrumente. 

Was wird untersucht? Beschreibung 
1. Funktioneller Status Wie gut kann eine Person Tätigkeiten des Alltags ausführen? Dazu zählen zum Beispiel das Kochen, Essen, Duschen oder Anziehen.
2. Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) Gibt es noch andere Erkrankungen neben der Krebserkrankung? Beispiele: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Zuckerkrankheit, rheumatische Erkrankungen, Augenerkrankungen. Diese können die Verträglichkeit einer Krebsbehandlung und die Lebenserwartung beeinflussen.
3. Medikamente Welche und wie viele Medikamente nimmt eine ältere Person in welcher Dosierung ein? Bei älteren Menschen gibt es oft das Problem der Polypharmazie. Darunter versteht man, dass ein Mensch regelmäßig fünf oder mehr Medikamente pro Tag anwendet. Dies erhöht das Risiko für Neben- und Wechselwirkungen.
4. Kognitive Funktionen Sind das Denken, die Merkfähigkeit, das Gedächtnis, die Wahrnehmung oder Aufmerksamkeit beeinträchtigt? So sind zum Beispiel bei Menschen mit einer Demenz die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Dies kann sich unter anderem auf die Beteiligung an einer Krebstherapie oder die zuverlässige Einnahme von Medikamenten auswirken.
5. Psychische Gesundheit Wie ist die seelische Lage einer Person? Gibt es Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen? Bei psychischen Erkrankungen kann beispielsweise die zuverlässige Teilnahme an der Krebsbehandlung eingeschränkt sein.
6. Ernährungszustand Ist ein Mensch untergewichtig, normalgewichtig oder übergewichtig beziehungsweise fettleibig? So hat unter anderem eine Mangelernährung einen Einfluss darauf, wie gut ein Mensch eine Krebstherapie verträgt.
7. Soziales Umfeld Lebt ein älterer Mensch allein, mit Partner oder Partnerin? Sind andere Familienangehörige in der Nähe? Gibt es Freunde oder Bekannte, die die Person unterstützen könnten? Für Krebsbehandlungen ist ein intaktes soziales Netzwerk von großem Vorteil.
8. Geriatrische Syndrome Darunter werden Beschwerden zusammengefasst, die im Zusammenhang mit dem Alter stehen. Beispiele sind Sehstörungen, Inkontinenz, Gebrechlichkeit oder ein Sturzrisiko

Ältere Menschen mit einem auffälligen G8-Screening-Ergebnis oder gesundheitlichen Problemen außerhalb ihrer Krebserkrankung sowie alle Personen ab 70 Jahren sollten vor Beginn einer systemischen Krebstherapie (systemisch = wirkt im gesamten Körper, zum Beispiel Chemotherapie) ein umfassendes geriatrisches Assessment erhalten, weil sich so das Risiko für schwere Nebenwirkungen senken lässt 

ISAR-Test

Der ISAR-Test ist ein Instrument ist ein Instrument, das ursprünglich für die Notfallaufnahme in der Klinik entwickelt wurde. Inzwischen wird er aber auch in der Onkologie und Geriatrie eingesetzt. Medizinische Fachleute können damit herausfinden, wer besondere Untersuchungen und Behandlungen benötigt. Auf dieser Grundlage treffen sie die Entscheidung, ob im weiteren Verlauf ein umfassendes geriatrisches Assessment notwendig ist – ambulant oder stationär. 

Mittels ISAR-Test lässt sich der körperliche und geistige Zustand eines älteren Menschen schnell erfassen. Der Fragebogen umfasst sechs Fragen, die nur mit „ja“ (1 Punkt) oder „nein“ (0 Punkte) zu beantworten sind. Aus den Antworten ergibt sich eine Gesamtpunktzahl. Die höchste Punktzahl wäre also 6 Punkte, die niedrigste 0 Punkte. Das Screening mittels ISAR-Test gilt als positiv, wenn eine Person zwei oder mehr Punkte erzielt. 

Bereich Frage 
1. Hilfebedarf Waren Sie vor der Erkrankung oder Verletzung, die Sie in die Klinik geführt hat, auf regelmäßige Hilfe angewiesen? 
2. Akute Veränderung des Hilfebedarfs Benötigten Sie in den letzten 24 Stunden mehr Hilfe als zuvor? 
3. Hospitalisation Waren Sie innerhalb der letzten sechs Monate für einen oder mehrere Tage im Krankenhaus? 
4. Sensorische Einschränkung Haben Sie unter normalen Umständen erhebliche Probleme mit dem Sehen, die nicht mit einer Brille korrigiert werden können? 
5. Kognitive Einschränkung Haben Sie ernsthafte Probleme mit dem Gedächtnis? 
6. Multimorbidität (mehrere Erkrankungen zugleich) Nehmen Sie pro Tag sechs oder mehr verschiedene Medikamente ein? 

Integration des Assessments in die Krebstherapie

Ärztinnen und Ärzte planen die Krebsbehandlung nicht nur auf der Basis der Krebsart und des Krebsstadiums, sondern auch aufgrund der Ergebnisse des geriatrischen Assessments. Das GA ist daher ein wichtiger „Baustein“ der Krebsbehandlung.  

Meist arbeitet hier ein interdisziplinäres Team Hand in Hand. Beteiligt sind zum Beispiel Fachleute aus der Onkologie, Geriatrie, Chirurgie, Pflege, Physiotherapie, Oecotrophologie (Ernährungslehre) und der Sozialarbeit. In manchen Krankenhäusern gibt es spezialisierte geriatrisch-onkologische Abteilungen für ältere Menschen mit Krebs. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG) fordert, das geriatrische Assessment ins Tumorboard zu integrieren. Dieses interdisziplinäre Team plant die Krebsbehandlung für jeden Menschen mit einer Krebserkrankung individuell.   

Ist ein älterer Mensch zum Beispiel fit und durch die Therapie belastbar, könnte eine Chemotherapie mit dem Ziel der Heilung eine Möglichkeit sein. Bei gebrechlicheren älteren Menschen würde der Schwerpunkt vielleicht eher auf einer palliativen Behandlung liegen, welche die Symptome lindert.  

Dass ein geriatrisches Assessment Vorteile bringen kann, zeigte zum Beispiel die Studie „GAP70+“. An der Studie hatten Männer und Frauen ab 70 Jahren teilgenommen. Sie waren an fortgeschrittenen, soliden (festen) Tumoren oder an Lymphomen (Lymphdrüsenkrebs) erkrankt. Bei allen wurden durch das geriatrische Assessment in mindestens einem Bereich Beeinträchtigungen festgestellt. Wenn bei der Auswahl von systemischen Therapien die Ergebnisse des GA berücksichtigt wurden, fielen die subjektiven Beeinträchtigungen (zum Beispiel Fatigue, Schlafstörungen, Übelkeit) geringer aus, so ein zentrales Ergebnis der Studie. Andere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen, was die positiven Effekte des geriatrischen Assessments angeht.  

  1. S3-Leitlinie „Umfassendes Geriatrisches Assessment (Comprehensive Geriatric Assessment CGA) bei hospitalisierten Patientinnen und Patienten“, Stand: 21.05.2024, abgerufen am 15.5.2025 
  2. Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG), Positionspapier Notaufnahme und Krebstherapie – geriatrisches Assessment ins Tumorboard integrieren, abgerufen am 15.5.2025
  3. Wedding Ulrich: Vom Geriatrischen Assessment zur geriatrischen Intervention: Was sollte Standard in der Behandlung alter Menschen mit Krebs sein? Journal Onkologie, 21.10.2022, abgerufen am 16.5.2025
  4. Loh, K.P. et al. Adequate assessment yields appropriate care—the role of geriatric assessment and management in older adults with cancer: a position paper from the ESMO/SIOG Cancer in the Elderly Working Group, ESMO Open, Volume 9, Issue 8, 103657, https://www.esmoopen.com/article/S2059-7029(24)01426-1/fulltext, abgerufen am 16.5.2025
  5. Mohile, Supriya G et al. Evaluation of geriatric assessment and management on the toxic effects of cancer treatment (GAP70+): a cluster-randomised study. The Lancet, Volume 398, Issue 10314, 1894-1904https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8647163/pdf/nihms-1756136.pdf , abgerufen am 16.5.2025

NP-DE-AOU-WCNT-250009 (05/25)

Mit freundlicher
Unterstützung von GlaxoSmithKline

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