Brust­krebs beim Mann: Häufig­keit und Ursachen

Brustkrebs beim Mann
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Berichte von Männern, bei denen Brustkrebs diagnostiziert wurde, zeigen sehr deutlich auf, wie unvermittelt diese Diagnose einen Mann trifft, ja förmlich überfällt. Undenkbar und völlig unerwartet sehen sie sich mit einer Krankheit konfrontiert, die als eine ganz typische Frauenkrankheit gilt. Im Leben einer Frau hat es diese Krankheit immer schon gegeben.

Erst kürzlich war doch die Freundin aus alten Volksschulzeiten daran erkrankt. Plötzlich erinnert man sich an eine Tante, die vor 30 Jahren Brustkrebs hatte und sogar daran gestorben ist. Dann kennen Frauen die Geschichten von Angelina Jolie und anderen Schauspielerinnen, die offen über ihre Erkrankung sprechen beziehungsweise über das Damoklesschwert ihres familiären, erblichen Brustkrebses. Und seit es das Mammografie-Screening für Frauen zwischen 50 und 69 gibt, muss sich jede Frau mit der Krankheit auseinandersetzen: Will ich der Einladung zum Röntgen folgen oder nicht? Fazit: Frauen rechnen zwar nicht mit Brustkrebs, aber sie sind nicht völlig überrascht, wenn es sie trifft.

Dass auch Männer an Brustkrebs erkranken können – diese Möglichkeit kommt im männlichen Denken gar nicht vor. Das ist auch der Grund, warum Männer meist viel Zeit verstreichen lassen, ehe sie zum Arzt gehen. Das weiß Peter Jurmeister vom „Netzwerk Männer mit Brustkrebs e.V.“ zu berichten. Selbst Hausärzte wissen oft nicht, dass diese „Frauenkrankheit“ auch Männer treffen kann – wenn auch nur in sehr seltenen Fällen. Meist entdecken die Männer selbst, dass etwas an ihrer Brust nicht stimmt. Sie tasten einen Knoten, fühlen eine Veränderung im Brustgewebe. Als Warnsignal gelten außerdem Flüssigkeitsabsonderungen aus der Brustwarze und kleine Entzündungen oder Wunden, die nicht abheilen. Auch wenn sich die Brusthaut an der Brustwarze oder an einer anderen Stelle einzieht, kann das ein Gefahrenzeichen sein und muss schnell abgeklärt werden.

Mammografie (Röntgenuntersuchung der Brust) und Ultraschall sind die bildgebenden Verfahren, mit denen einem Brustkrebsverdacht beim Mann nachgegangen wird. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass eine mammografische Untersuchung beim Mann nicht einfach und möglicherweise schmerzhafter ist als bei der Frau.

Aber auch die Umgebung von radiologischen Praxen, in denen mammografiert wird, macht Männern zu schaffen. Sie fühlen sich unbehaglich. Hier kommen sie in Räume, in denen sich ausschließlich Frauen aufhalten. Die einzige Ausnahme ist dann der Gynäkologe – wenn es nicht die Praxis einer Frauenärztin ist.

Eine seltene, eine oft ­vergessene ­Erkrankung (­Epidemiologie)

Jede neunte Frau erhält in ihrem Leben die Diagnose Brustkrebs. Zurzeit sind das in Deutschland rund 70.000 Frauen pro Jahr. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Inzidenz – das ist die Anzahl der Neuerkrankungen – durch das Mammografie-Screening deutlich angestiegen. Dank dieser Früherkennungsmaßnahme werden viele Tumore aufgespürt, wenn sie noch sehr klein sind.

Knapp ein Prozent aller Brustkrebserkrankungen trifft Männer. Es gibt in Deutschland zwischen 400 und 610 Fälle pro Jahr. Aufgrund der sehr niedrigen Fallzahlen gibt es in den statistischen Registern keine ganz präzise Zahl. Brustkrebs ist auch unter allen Krebserkrankungen bei Männern mit etwa einem Prozent besonders selten. Dr. Holm Eggemann, leitender Oberarzt der Frauenklinik am Universitätsklinikum Magdeburg, weist in einer Veröffentlichung darauf hin, dass es weltweit beträchtliche regionale Unterschiede gibt. So ist der männliche Anteil aller Mammakarzinome in Teilen Afrikas weit höher: in Uganda fünf Prozent und in Sambia 15 Prozent. Hier wird vermutet, dass infektiöse Lebererkrankungen zu einem höheren Östrogenspiegle beim Mann führen und deshalb öfter Brustkrebs auslösen können.

Gehört der Brustkrebs bei Männern damit zu den „seltenen Erkrankungen“? Auf der Webseite des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (DKFZ) ist zu lesen: „Wenn weniger als 50 von 100.000 Menschen zu einem festgelegten Zeitpunkt in einem Land an einer Krankheit erkrankt sind, spricht man von ‚selten‘.“ Brustkrebs beim Mann tritt in Europa nur im Verhältnis 1 : 100.000 auf. Damit ist diese Erkrankung noch seltener als selten. Allerdings wird sie nicht als „Seltene Erkrankung“ definiert, weil eben Brustkrebs (bei der Frau) die häufigste Krebserkrankung ist. Die paradoxe Situation beschreibt Peter Jurmeister vom Netzwerk Männer mit Brustkrebs treffend: „Die betroffenen Männer leiden an einem weit verbreiteten Tumor und sind doch gleichzeitig eine Seltenheit.“

Männer erkranken später als Frauen. Frauen sind bei der Diagnose im Durchschnitt 64 Jahre alt, Männer 69. Der Tumor beim Mann ist bei Diagnosestellung häufig fortgeschrittener, was Größe und Lymphknotenbefall angeht. So ist der Tumor beim Mann im Durchschnitt 2,4 Zentimeter, bei der Frau nur 2,2 Zentimeter groß. Allerdings ist Tumor bei Männern selten hormonrezeptor-negativ. Hormonrezeptor-negative Brustkrebserkrankungen gehen meist mit einer schlechteren Prognose einher, weil die guten und sehr wirksamen antihormonellen Medikamente hier nicht helfen können. Hormonrezeptor-negativ sind 23 Prozent der Frauen aber nur 10 bis 15 Prozent der Männer. Brustkrebs trifft ganz überwiegend ältere Männer und nur sehr selten junge.

Alle Zahlen stehen unter Vorbehalt, denn es gibt nur wenige Studien und Berichte zum männlichen Brustkrebs. Wenn Studien gemacht werden, sind die Fallzahlen meist sehr klein. So wurden zum Beispiel Genexpressionsprofile – hier erhoben mit dem Test Oncoptype DX – von Männern und Frauen miteinander verglichen. Da standen 82.434 Tumorproben von Frauen ganze 347 Proben von Männern gegenüber. Man muss kein Statistiker sein, um zu ahnen, dass mit zwei so ungleichgewichtigen Datenpaketen kaum gesicherte Aussagen gemacht werden können. Alle Angaben beziehen sich auf Informationen aus Studien, die sehr unterschiedliche Fallzahlen haben. Die größten Studien umfassen 200 Patienten, aber sehr viele haben nur 34 bis 39 Teilnehmer.

Warum ich? Zu den Ursachen

Es gibt einige Risikofaktoren, die beim Mann zu Brustkrebs führen können. Da ist zum einen die erbliche Belastung durch eine Genmutation zu nennen. Die bisher gefundenen Mutationen wurden BRCA1 (BReast CAncer) und BRCA2 genannt (siehe Seite <ÜS>). Beim männlichen Brustkrebs handelt es sich meist um BRCA2.

Das so genannte „Klinefelter Syndrom“ kann ebenfalls Brustkrebs begünstigen. Hier handelt es sich um eine seltene, angeborene Veränderung der Geschlechtschromosomen. Aber lediglich dreieinhalb bis sieben Prozent der Männer mit Brustkrebs haben das Klinefelter Syndrom. Ein weiterer Risikofaktor kann eine gestörte Hormon-Balance sein, etwa wenn der Mann zu wenig Testosteron und zu viel Östrogen produziert. Sind die weiblichen Geschlechtshormone erhöht, kann das männliche Brustgewebe überproportional wachsen. In einigen Fällen können Gonaden-Erkrankungen, also hormonelle Funktionsstörungen der Hoden, eine Ursache für männlichen Brustkrebs sein.

Wie auch bei Frauen mit Brustkrebs gelten Adipositas (Fettleibigkeit) und hoher Alkoholkonsum als Risikofaktoren. Männer mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 (bis 25 gilt als normal) haben ein um 80 Prozent höheres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, als sportlich fitte und schlanke Männer. Und trotzdem – es kann auch den durchtrainierten Marathonläufer treffen. So ist es einigen Männern aus dem Netzwerk „Männer mit Brustkrebs“ ergangen.

Als risikosteigernd gilt außerdem eine langjährige oder hoch dosierte radioaktive Strahlung, die das Brustgewebe betroffen hat. Das ist auch für Frauen ein Risikofaktor.

Die meisten männlichen Brustkrebspatienten müssen aber davon ausgehen, dass sich nicht klären lässt, wodurch die Krankheit genau ausgelöst wurde. Damit sitzen sie im gleichen Boot wie viele Brustkrebspatientinnen, die schlank sind, Sport treiben, wenig Alkohol trinken und gesund leben. Auch sie hätten nach der gängigen Risikobewertung gar nicht krank werden dürfen. Sie alle hatten Pech.

Krebs entsteht durch Kopierfehler bei der Zellerneuerung. Je öfter, je länger im Leben eines Menschen sich Zellen erneuern und dabei Gene kopiert werden, umso eher können Fehler in Form von „Falschkopien“ auftreten. Nicht ein schwaches Immunsystem und erst recht nicht ein Mangel an „positivem Denken“ sind schuld an diesen Übertragungsfehlern. Auch wenn es manche junge Menschen trifft, darf nicht vergessen werden, dass Krebs vor allem eine Alterserkrankung ist. Krebs entwickelt sich, je länger die Möglichkeit besteht, falsche Kopien der Erbinformation bei der Zellteilung anzulegen.

Bert Vogelstein, amerikanischer Pathologe und Onkologe, hat das jetzt mit seinem Kollegen Christian Tomasetti bestätigt. Vogelstein geht in seiner Forschung der Frage nach, welche Rolle Gene bei der Entstehung von Krebs spielen. Demnach ist Krebs überwiegend ein Produkt des Zufalls. Zwei Drittel der Krebsfälle seien „Teilungsunfälle“ bei der Erneuerung von Zellen, schreiben die beiden hochrangigen Wissenschaftler 2014 in der Fachzeitschrift „Science“. Je häufiger sich in einem Organ die (Stamm-)Zellen teilen, umso größer ist die Tumorgefahr.

Selbstverständlich ist es immer sinnvoll, gesund zu leben, das heißt sich gut zu ernähren, sich zu bewegen und so weiter. Aber einen lückenlosen Schutz vor Krebs bietet der gesunde Lebensstil leider nicht. Die Studie aber entlastet den Krebskranken von möglichen Schuldgefühlen.

Männer mit einer „Frauenkrankheit“?

Dass auch Männer an Brustkrebs erkranken können, erstaunt viele Menschen – die Betroffenen selbst und auch die vielen Gesunden. Bestärkt wird das durch Fragen Außenstehender: „Stimmt was mit deinen Hormonen nicht? Das kriegen doch nur Frauen.“ So berichtet es ein Betroffener in einem Artikel bei SPIEGEL online.

Peter Jurmeister empfiehlt, bei solchen Gedanken den Blick auf die anatomischen Grundlagen des Brustdrüsengewebes zu richten. Es gibt Gemeinsamkeiten. Die weibliche Brust besteht aus den Drüsenläppchen (Lobuli), die Milch produzieren können und den Milchgängen (Ducti), die die Milch in die Brustwarzen transportieren. Was kaum jemand weiß: Auch Jungen haben, embryonal angelegt, kleine Milchgänge, rudimentäre Überbleibsel. Mit der Pubertät wächst das gesamte Brustgewebe beim Mädchen, beim Jungen bleibt es flach. Aus dieser gemeinsamen embryonalen Entwicklungszeit stammt auch die Brustwarze beim Mann.

Bei Frauen findet sich der Brustkrebs zu 80 Prozent in den Milchgängen. Man spricht vom invasiv duktalen Mammakarzinom. Weil bei jedem erwachsenen Mann die Milchgänge rudimentär erhalten bleiben, tritt der Brustkrebs beim Mann fast ausschließlich an dieser Stelle auf.

Zu einem ganz hohen Anteil ist der Brustkrebs des Mannes hormonsensibel, das heißt er wird durch Östrogene zum Wachsen angefeuert. Auch diese Tatsache erstaunt viele Menschen. Östrogen? Das ist doch ein typisches „Frauenhormon“. Tatsächlich liegt die Östradiolkonzentration junger Männer deutlich oberhalb der Spiegel von postmenopausalen Frauen (nach den Wechseljahren), wie Friedrich Jockenhövel 2014 im Ärzteblatt schreibt. Androgene, wie etwa das Testosteron, machen den Mann erst zum Mann. Ist also der brustkrebskranke Mann vielleicht doch ein bisschen „verweiblicht“? Das ist Unsinn, denn die so genannten Männer- und Frauenhormone finden sich immer bei beiden Geschlechtern. „In Wirklichkeit sind Frau und Mann hormonelle Zwitter. Beide haben männliche und weibliche Hormone…. Das wichtigste weibliche Östrogen Estradiol entsteht durch Aromatase aus Testosteron“, schreibt das Ärzteblatt im September 2013.

Das Enzym Aromatase spielt bei der Östrogenproduktion im Körper von Mann und Frau eine zentrale Rolle. Es stellt Östrogen aus den Hormonen Androstendion und Testosteron her und kommt in der Leber, der Nebenniere und in den Fettgewebszellen vor. Das erklärt, warum sich der Östrogenspiegel mit steigendem Körperfett erhöht – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Insbesondere die Menge des „subkutanen abdominalen Fettgewebes“ (Vorsicht Bierbauch!) kann Einfluss auf den Östrogenspiegel haben. Östrogene scheinen die Libido und die sexuelle Aktivität zu steigern – auch beim Mann. Und sie sind an der Fruchtbarkeit des Mannes beteiligt. Leider kann dieses wertvolle und unverzichtbare Hormon bei Frauen wie bei Männern zu einer Brustkrebserkrankung beitragen.

Erblicher Brustkrebs – auch beim Mann?

In der Öffentlichkeit wird oft angenommen, Brustkrebs sei stark erblich bedingt. Das ist aber nicht der Fall. Ärzte und Genetiker gehen davon aus, dass bei den erkrankten Frauen nur etwa fünf Prozent eine ererbte, also familiäre Genmutation aufweisen. Erst wenn mindestens zwei weibliche Familienmitglieder (Mutter, Tante, Großmutter, Schwester) früh erkrankt und vielleicht sogar vor dem 50. Lebensjahr verstorben sind, ist eine genetische Beratung angezeigt. Auch Eierstockkrebs in der Familie kann ein Warnzeichen sein. Bevor es zu einer Genuntersuchung kommt, ist eine ausführliche Beratung in den spezialisierten Zentren vorgeschaltet. Wird ein Familienmitglied als Träger einer Genmutation erkannt, sollten sich auch die anderen Frauen der Familie untersuchen lassen.

Auch Männer erkranken selten an familiärem Brustkrebs. Ist ein Mann an Brustkrebs erkrankt, hat er eine „Familiengeschichte“ dieses Krebses und ist er als Mutationsträger diagnostiziert, dann sollte er seine Töchter zur genetischen Beratung schicken. In einem multidisziplinären Meeting, das 2010 in den USA stattfand und vorhandene Studien analysierte, wurden etwa zehn Prozent der Männer mit Brustkrebs als familiär belastet beschrieben. Meist ist es eine BRCA2-Mutation.

Sowohl Mutter als auch Vater können Träger der Genveränderung sein, weiß Ursel Wirtz, Geschäftsstellenleiterin des BRCA-Netzwerks in Bonn. Brust- und Eierstockkrebs kommt in den betroffenen Familien gehäuft vor und tritt bereits in jungen Jahren (vor dem 50. Lebensjahr) auf. Daher werden die betroffenen Familien auch „Hochrisikofamilien“ genannt. Weitere Auffälligkeiten in diesen Familien sind beispielsweise, dass Brustkrebs in beiden Brüsten auftritt oder dass auch Männer der Familie daran erkranken. Das Risiko, als Mutter oder Vater eine vorhandene Genmutation an die Kinder weiterzugeben, beträgt 50 Prozent. Das BRCA-Netzwerk zeigt auf seiner Webseite, welche familiären „Auffälligkeiten“, welche Risikofaktoren vorliegen sollten, um nach einer genetischen Beratung zu fragen. Das Netzwerk berät kompetent und patientenorientiert. Hier engagieren sich Frauen, die selbst betroffen sind. Sie beraten selbstverständlich auch Männer (www.brca-netzwerk.de/risikofaktoren-brustkrebs.html).

An fünfzehn spezialisierten Zentren in Deutschland kann ein genetischer Stammbaum aus den Informationen erstellt werden, die der Patient aus seiner Familie berichtet. Es ist sinnvoll zu wissen, ob man aus einer Mutationsträgerfamilie kommt. Denn in diesem Fall bietet das deutsche Gesundheitswesen engmaschige Früherkennungsmaßnahmen wie Mammografie, Ultraschall und Kernspintomografie an. Wer erblich belastet ist – sei es durch eine festgestellte Genmutation oder weil man aus einer offensichtlichen Hochrisiko-Familie mit auffällig vielen Erkrankten kommt – wird regelmäßig und umfassend mit den besten bildgebenden Verfahren untersucht.

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