In einigen Familien häufen sich bestimmte Krebserkrankungen, darunter zum Beispiel Brust– und/oder Eierstockkrebs, aber auch Darm-, Prostata- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. Manchmal tritt eine spezielle Krebserkrankung auch bei mehreren Personen auf oder wird schon im jungen Alter diagnostiziert. Fachleute sprechen in diesen Fällen von einem „erblichen Tumorrisikosyndrom“ (TRS).
Wenn in einer Familie mehrere Mitglieder an Brust- oder Eierstockkrebs erkranken können zum Beispiel die Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 krankhaft verändert (mutiert) sein. Eine BRCA-Mutation führt dazu, dass bestimmte Reparaturmechanismen nicht mehr ausreichend funktionieren. Aus gesunden Zellen können so Krebszellen werden, die unkontrolliert wachsen – Brust– oder Eierstockkrebs kann entstehen.
Wichtig für Betroffene ist, Klarheit über das eigene familiäre Risiko zu erhalten. Ein Gentest kann eine individualisierte Behandlung ermöglichen und die Prognose verbessern. Auch die Krebsfrüherkennung lässt sich an das persönliche Krebsrisiko anpassen. Möglich sind zum Beispiel intensivierte Früherkennungs- und Nachsorgemaßnahmen oder vorbeugende, risikoreduzierende Operationen. Für bereits an Krebs erkrankte Personen lässt sich die medikamentöse Behandlung anpassen. Dabei handelt es sich um eine zielgerichtete Therapie.
OnkoRiskNET soll Versorgungslücke schließen
Wenn Ärztinnen und Ärzte bei ihren Patientinnen und Patienten den Verdacht auf ein erbliches Krebsrisiko (erbliches Tumorrisikosyndrom) hegen, ist es wichtig, diese Vermutung zeitnah abzuklären und ihnen Hilfe anzubieten. In Deutschland mangelt es jedoch an flächendeckenden Angeboten zur humangenetischen Diagnostik, Beratung und Versorgung. Vor allem in ländlichen Regionen Deutschlands sind diese Anlaufstellen rar. Menschen mit einem vermuteten erblichen Tumorrisikosyndrom müssen daher oft weite Wege zurücklegen, um Unterstützung zu erhalten.
„Wir sehen, dass Krebspatientinnen und -patienten in dieser Belastungssituation häufig nicht den weiten Weg in ein Institut für Humangenetik finden“, sagt Prof. Brigitte Schlegelberger, ehemalige Direktorin des Instituts für Humangenetik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Deshalb sei klar gewesen, dass hier eine ganz bedeutende Versorgungslücke existiere, so Schlegelberger weiter.
Um eine wohnortnahe Versorgung von Patientinnen und Patienten und deren Familien mit einem genetischen Tumorrisiko zu ermöglichen, wurde das Projekt „OnkoRiskNET“ ins Leben gerufen. Die Leitung hat ein spezialisiertes Team vom Institut für Humangenetik an der MHH übernommen. Seit 2021 hat das Projekt OnkoRiskNET ein Kooperationsnetzwerk aus niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten aus den Bereichen der Onkologie und Humangenetik in zwei Bundesländern aufgebaut – Niedersachsen und Sachsen.
Das Projekt läuft über 45 Monate (bis 2025). Insgesamt sind 26 niedergelassene onkologische Praxen in Niedersachsen und Sachsen beteiligt. Jede Praxis startete in der Kontrollphase und wechselte dann im Verlauf des Projekts in die Interventionsphase. Kontrollphase bedeutet eine „normale“ Versorgung, wie es sie seit vielen Jahren gibt. Interventionsphase heißt, dass in der genetischen Beratung die Telemedizin zum Einsatz kommt.
Dr. Johanna Tecklenburg, Co-Initiatorin und ehemalige Mitarbeiterin am Institut für Humangenetik der MHH, betont: „Wir wollen die Betroffenen und ihre Familien dort erreichen, wo sie sind.“ Es gelte zu verhindern, dass sie „durch das System rutschen und erst auffallen, wenn sie an Krebs erkrankt sind“.
Ausgezeichnet
Das Projekt „OnkoRiskNET“ hat für seine Arbeit den Niedersächsischen Gesundheitspreis (2023) in der Kategorie „E-Health – neue Chancen im Gesundheitswesen“ erhalten.
Bei erblichem Krebsrisiko besser am Wohnort versorgt sein
Ziel ist es, Betroffenen in strukturschwachen Regionen in der Nähe ihres Wohnortes einen besseren Zugang zu genetischer Beratung, Diagnostik und risikoadaptierter Prävention bieten zu können. Dies soll geschehen durch:
- strukturierte Behandlungswege
- Unterstützung bei der Stellung der Indikation
- Unterstützung bei der Interpretation von Befunden
- telemedizinische genetische Beratung
„Kaum ein Fach erlebt aktuell einen derart rasanten Technologie-, Wissens- und Bedeutungszuwachs, wie es in der Humangenetik der Fall ist“, erklärt Schlegelberger. Umso wichtiger sei es, Versorgungskonzepte wie OnkoRiskNET zu etablieren, die mit dieser Entwicklung Schritt halten und auch in Zukunft eine flächendeckende humangenetische Versorgung sichern könnten.
Beratung per Telemedizin – erste Ergebnisse auswerten
Seit Ende Juni 2024 ist die Rekrutierung für das Projekt OnkoRiskNET beendet. Somit ist vorerst keine telemedizinische humangenetische Beratung für Menschen mit einem Verdacht auf ein genetisch bedingtes Tumorrisikosyndrom mehr möglich. In den nächsten Monaten werten die Forschenden die Ergebnisse aus. Sie möchten vergleichen, wie viele Menschen eine telemedizinische Beratung in Anspruch genommen haben und wie viele persönlich zur Beratung in die humangenetische Ambulanz gekommen sind. Ein weiterer Auswertungspunkt ist, wie zufrieden Patientinnen und Patienten mit der Telemedizin waren.
Der Gemeinsame Bundesausschuss(G-BA) fördert neue Versorgungsformen, wie OnkoRiskNET, sowie Versorgungsforschungsprojekte, die über die „normale“ Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen hinausgehen. Dafür hat der G-BA einen Innovationsfond eingerichtet. Nach dem Abschluss der geförderten Projekte gibt der G-BA die Empfehlung zur Übernahme in die Regelversorgung.
Erblicher Brustkrebs – oft ist eine BRCA-Mutation der Grund
In Deutschland erhalten ungefähr 500.000 Menschen jedes Jahr neu eine Krebsdiagnose. Medizinische Fachleute gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Krebserkrankungen eine erbliche Ursache haben und sich im Rahmen eines Tumorrisikosyndroms (TRS) entwickeln.
Für Brustkrebs haben Expertinnen und Experten ausgerechnet, dass ungefähr 30 Prozent aller Frauen mit einem Mammakarzinom familiär vorbelastet sind. In ihrer Familie sind weitere Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs zu finden. Dabei ist eine BRCA-Mutation der häufigste Grund für eine erblich-bedingte Krebserkrankung. Es gibt aber noch einige weitere Gene, die (unterschiedlich stark) das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs erhöhen können. Dazu zählen beispielsweise PALB2, ATM, CHEK2, BARD1 oder RAD51C.
- OnkoRiskNet, abgerufen am 28.8.2024
- ONKO Internetportal. Familiärer Krebs – Wie viel liegt in den Genen?, abgerufen am 28.8.2024
- OnkoRiskNet. Was ist ein Tumorrisikosyndrom?, abgerufen am 28.8.2024
- dkfz. Krebsinformationsdienst. Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. Bin ich betroffen?, abgerufen am 28.8.2024
- Medizinische Hochschule Hannover (MHH). OnkoRiskNET Innovationsfonds-Projekt., abgerufen am 28.8.2024
- OnkoRiskNet. Team an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)., abgerufen am 28.8.2024
- ONKO Internetportal. Brustkrebs – Ursachen und Risikofaktoren. , abgerufen am 28.8.2024
Die Informationen auf dieser Seite können eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.