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Psychoonkologie: „Wie ein Essenslieferdienst bringen wir seelische Unterstützung mit“

Redaktion Mamma Mia!

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© iStock / simplehappyart
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Die Psychoonkologie ist eine wichtige Säule der Krebstherapie, auch bei Gebärmutterkrebs. Wer braucht seelische Unterstützung, was kann sie bewirken und wie gehen Psychoonkologen vor? Im Interview erklärt Dr. Eva-Friederike Wangemann, Gynäkologin und Ärztliche Psychotherapeutin, die vielfältigen Ansätze.

Frau Dr. Wangemann, welche Sorgen und Ängste plagen Menschen mit Krebs am meisten?

Dr. Eva-Friederike Wangemann: Krebskranke Menschen werden durch die Diagnose mit ihrer Sterblichkeit konfrontiert, viele zum ersten Mal. Natürlich wissen wir alle, dass wir sterblich sind, aber jetzt rückt es in den Fokus und wird greifbar – und das macht Angst. In vielen Menschen steckt noch das alte Tabu: Über Krebs redet man nicht, da stirbt man ja doch nach einem Leidensweg schnell dran. Gerade weil wir heute viele Menschen heilen können, ist das Reden darüber gerechtfertigt! Manche schämen sich auch vor der Gesellschaft, dass sie eine Krebserkrankung wie der Gebärmutterkrebs getroffen hat. Sie empfinden dies als Makel, mit dem sie schlecht umgehen können. Dazu kommt oft die Angst, der Partner oder die Partnerin könnte sich abwenden.

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Dr. Eva-Friederike-Wangemann, Gynäkologin und Ärztliche Psychotherapeutin am Klinikum Essen-Mitte

Gibt es Dinge, die Frauen mit einer gynäkologischen Krebserkrankung besonders zusetzen?

Viele Frauen fürchten, durch eine Operation entstellt zu werden und dann nicht mehr schön und attraktiv zu sein. Für jüngere Frauen spielt zudem das Thema Nachwuchs eine Rolle. Wenn aufgrund der Krebsbehandlungen, etwa bei Gebärmutterkrebs, keine Schwangerschaft mehr möglich ist, ist das sehr hart für die Frauen. In Deutschland sind die gesetzlichen Regelungen streng und eine Eizellspende nicht erlaubt. Wer also keine eigenen fruchtbaren Eizellen mehr besitzt oder einfrieren lassen kann, der hat derzeit hierzulande keine Möglichkeit, schwanger zu werden.

Und wer schon Kinder hat?

Oft fühlen sich Kinder schuldig, quälen sich und werden auch auf dem Schulhof von Mitschülern gehänselt: ‚Deine Mama hat Krebs‘. Wir versuchen, auch den Kindern krebskranker Eltern mit Heilpädagoginnen zur Seite zu stehen und erklärend zu helfen, um sie wieder hoffnungsfroh zu stimmen.

Wie finden Sie heraus, ob eine Frau psychisch belastet ist?

Wir gehen zu jeder Frau persönlich hin und fragen sie, wie ihre Befindlichkeit ist. Das Sprechen hilft meist schon sehr viel. Oft sind die Frauen interessiert an einem Austausch und möchten sich mit ihrer Krebserkrankung auseinandersetzen. Außerdem helfen uns standardisierte Fragebögen, die uns ein Bild ihres seelischen Zustandes vermitteln können.

Gibt es Zahlen, wie viele Frauen psychisch leiden?

Die gibt es, aus der Literatur, aber sie decken sich auch mit meiner Erfahrung. Ungefähr ein Drittel aller Krebskranken braucht intensive psychoonkologische Betreuung, weil sie fast an ihrem Schicksal verzweifeln. Ein weiteres Drittel reagiert auf die Krebsdiagnose fast cool und besitzt eine erhebliche Resilienz, also psychische Widerstandskraft. Diesen Menschen gelingt es, auch schwierige Lebenssituationen ohne größere Beeinträchtigungen zu meistern. Und das letzte Drittel sagt: ‚Ich schaffe es selbst. Ansonsten melde ich mich bei Ihnen und Sie haben dann ein paar Tipps für mich.´ Das tun dann viele auch.

Wer psychoonkologische Unterstützung braucht, hat eine psychische Erkrankung – das glauben viele.

Ja, dieser Irrtum ist gar nicht so selten. Besonders Männer verbinden die psychoonkologische Unterstützung oft mit einer ‚Gehirnwäsche‘. Sie glauben, sie bräuchten keine Psychologin, weil sie ja Krebs hätten. Die meisten haben aber keine psychische Erkrankung, sondern erleben eine seelische Belastung – das ist ein Unterschied. Eine Krebsdiagnose trifft bei Menschen auf unterschiedlich fruchtbaren Boden. Manche bringen schon seelische Probleme mit. Dann triggert die Krebsdiagnose vielleicht etwas, was ihnen schon vorher Angst gemacht hat. Nur selten sind Medikamente wie Antidepressiva nötig. Sie können aber wichtig sein, damit ein Mensch nicht völlig seelisch aus dem Ruder gerät.

Wie kommt es, dass eine Krebserkrankung Körper und Seele dermaßen aus dem Gleichgewicht bringt?

Schon die Diagnose ist ein Schock, der fast alle in einen Ausnahmezustand versetzt. Danach ist der Körper traumatisiert. Nach einer Operation muss er bei der Regeneration einiges leisten. Er steckt viel Energie in diese Reparaturarbeiten. So liegt es auf der Hand, dass der Körper nicht auch noch viele Glückshormone bereithalten kann. Dazu kommt eine geistige und seelische Erschöpfung. Wenn Frauen bei der Chemotherapie angelangt sind, sagen viele: ‚Ich kann nicht mehr.‘ In all diesen Situationen können wir durch eine Krisenintervention helfen.

Nicht jeder Mensch braucht psychologische Unterstützung. Was sind für Sie Alarmsignale?

Wenn jemand zum Beispiel im Bett öfters weint, rufen uns die Pflegekräfte meist sofort. Die Not ist aber oft nicht so groß, weil die Patientinnen ja durch das Weinen ein Ventil gefunden haben. Viel mehr Sorgen mache ich mir, wenn ein Mensch eine versteinerte Miene trägt und nicht mitteilt, was ihn bedrückt. Es ist aber nichts Außergewöhnliches, nach Hilfe zu fragen. Frauen sind meist offener und tun sich damit leichter. Manche testen die Unterstützung auch nur vorübergehend, bis sie sich wieder stabilisiert haben. Auch das ist eine Möglichkeit.

Und wie gehen Sie als Psychoonkologin konkret vor?

Sie können sich das vorstellen wie einen Essenslieferdienst. Wir kommen hin und bringen das Essen mit, also die seelische Unterstützung. Aber wir haben auch eine Speisekarte, um im Bild zu bleiben. Unsere Krebskranken bekommen Flyer, die sie sich in Ruhe durchlesen können. Später können sie sich auch von sich aus bei uns melden. Wir möchten helfen, empathisch und nah sein und einen Menschen dort abholen, wo er gerade steht.

Das wichtigste Werkzeug der Psychoonkologen ist das Gespräch. Wie läuft es ab?

Wir verwenden Fragebögen, steigen aber nicht im Hier und Jetzt ein, sondern in der Vergangenheit. Wir fragen zum Beispiel: Wie haben Sie von Ihrer Krebsdiagnose erfahren? Wie wurde Ihnen die Diagnose mitgeteilt? Schon da stellen wir oft die ersten traumatischen Erlebnisse fest. Denn manche Ärzte haben ihre Mimik nicht sehr gut im Griff, aus der das Gegenüber ja viel ablesen kann. Andere erzählen uns, sie hätte die Diagnose im Vorbeigehen auf dem Flur bekommen.

Was vermutlich nichts Gutes bewirkt.

Eine Krebsdiagnose können Sie sich vorstellen wie einen D-Zug, der durch den Kopf rast und ihn blockiert. Das Zuhören gelingt nicht und bei vielen bleiben nur etwa 30 Prozent der Informationen hängen. Ein Grund, warum man immer eine vertraute Person zum Gespräch mitnehmen sollte. Erst später merken sie, dass etwas erklärungsbedürftig ist. Ich habe Zeit dafür. Das ist ein Vorteil gegenüber Stationsärzten, die noch an vielen anderen Orten in der Klinik ihre Aufgaben haben, erwartet werden und bei denen oft das Telefon nicht stillsteht. Uns interessieren auch die persönlichen Ressourcen und was Menschen in der Vergangenheit Kraft gegeben und Wohlbefinden vermittelt hat.

Und nach dem Blick in die Vergangenheit fragen Sie …

… was sie im Moment belastet. Viele haben Angst vor der OP, den Schmerzen, ihre Autonomie abgeben zu müssen und entstellt aus dem OP-Saal zu kommen. Wir beruhigen sie damit, dass sich Schmerzen wirksam lindern lassen, Narben heute nicht mehr grob getackert werden und wir nicht nur den Krebs bekämpfen, sondern auch darauf Acht geben, dass sie schön bleiben. Außerdem raten wir ihnen – und den Angehörigen – nicht alles zu googeln. Manche kommen mit wilden Ideen und Krebstherapien an, von denen sie im Internet gelesen haben. Die sachliche ‚Nachhilfe‘ können wir ihnen aber besser geben.

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Die Psychoonkologie besitzt einige positive Wirkungen. Welche?

Vielen gelingt es, mehr Gelassenheit, Zuversicht und Sicherheit zu gewinnen, ihre Bedürfnisse besser zu erkennen und mehr Selbstbewusstsein entwickeln. In dem Wort stecken eigentlich zwei Dinge, nämlich sich seiner selbst bewusster zu werden. Sie können lernen, dass sie selbst etwas beitragen können und sich nicht vollständig an andere abgeben müssen. Wer sich selbst spürt und mit anderen kommuniziert, hat oft auch weniger Ängste.

Die Psychoonkologie ist kein geschützter Begriff – kann sich jeder so nennen?

Wer von der Krebsgesellschaft anerkannt werden will, muss eine zertifizierte psychoonkologische Ausbildung absolvieren. Sie ist sehr intensiv und dauert meist mehrere Wochen. Nur Psychologen und Ärzte, die eine Approbation oder eine psychotherapeutische Weiterbildung haben, dürfen auch mit den Krankenkassen abrechnen. Übrigens können auch Pastoren, Krankenschwestern oder Mitarbeitende des Sozialdienstes sehr guten seelischen Beistand leisten und den Psychoonkologentitel tragen – nur nicht zur selbständigen Abrechnung mit den Kassen.

Die Warteliste für psychoonkologische Therapeuten ist oft lang. Wo und wie finden Krebspatienten schnell Unterstützung?

In einem zertifizierten Krebszentrum gibt es psychoonkologische Hilfe direkt vor Ort – sie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Zertifizierung. Wenn Krebskranke in unserem Haus anschließend ambulant fachärztlich weiter betreut werden, etwa eine Chemotherapie absolvieren, können sie weiterhin zu uns kommen. Manche brauchen nur ein bis zwei Gespräche, danach sind sie wieder in der Balance. Ansonsten helfen bei der Suche eine eigene Recherche im Internet, Krebsorganisationen, Krebsberatungsstellen, aber auch die Krankenkassen weiter.

Sind auch psychoonkologische Gespräche auch online möglich?

Während der Corona-Pandemie hatten viele unserer Krebspatienten Angst, sich mit Corona anzustecken. Wir haben mit ihnen über Video kommuniziert, was auch gut geklappt hat. Aber danach wollten viele wieder persönlich kommen. Besser ist es, wenn man sich haptisch kennenlernt. Aber wenn nichts anderes geht, dann ist die psychoonkologische Betreuung auch über Video möglich – sie ist auf jeden Fall besser als gar nichts.

Eine Krebserkrankung betrifft meist die ganze Familie. Wie wichtig ist es, auch Angehörige einzubeziehen?

Das biete ich immer an! Wir fragen uns immer: Gibt es jemanden, der zu Hause leidet? Der Partner braucht auch oft Hilfe. Meine Beobachtung ist, dass er für die Gesellschaft unsichtbar wird. Alle stellen die Frage: Wie geht es deiner Frau? Dabei haben sie selbst große Angst um ihre Liebste, und oft kommen sie auch nicht allein im Alltag zurecht. Manche haben noch nie eine Waschmaschine bedient oder sich ein Butterbrot geschmiert. Meine Erfahrung ist: Wenn es der Frau wieder besser geht, sie die Reha hinter oder vor sich hat – dann besteht die Gefahr, dass der Mann in ein tiefes Loch stürzt. Wir fragen den Partner daher: Wie geht es dir damit? Wir möchten ihre Rolle wertschätzen. Außerdem regen wir an, dass auch Freunde, Arbeits- oder Sportkollegen Männern diese Frage stellen.

NP-DE-AOU-WCNT-230011 (04/2023)

Mit freundlicher
Unterstützung von GlaxoSmithKline

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Die Informationen auf dieser Seite können eine professionelle Beratung durch ausgebildete und anerkannte Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen. Auch dienen sie nicht dazu, eigenständig eine Diagnose zu stellen oder eine Therapie einzuleiten.