»Bei mehreren Krebsfällen in der Familie werden wir hellhörig«

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Krebsfälle in der Familie
© iStock / TrixiePhoto

Wie funktioniert ein Gentest auf Brustkrebs, für wen ist er empfohlen und wie läuft eine genetische Beratung ab? Antworten von Prof. Dr. Maggie Banys-Paluchowski vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. 

Frau Prof. Banys-Paluchowski*, was ist ein Gentest auf Brustkrebs überhaupt?  

Man weiß schon seit vielen Jahren, dass mehrere Personen in einer Familie an Krebs erkranken können. Erst wenige Jahre  alt ist dagegen die Erkenntnis, dass die Krebserkrankung auch in den Genen liegen kann. Wir haben viel Zeit gebraucht, um diese Gene besser untersuchen und verstehen zu können. Aber heute können wir veränderte Brustkrebsgene im Rahmen eines Gentests nachweisen. Die Gene, mit denen ein Mensch geboren wird, bleiben nämlich das ganze Leben lang so, wie sie sind. Die Erbgutinformationen und die genetische Veranlagung verändern sich nicht. 

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Prof. Maggie Banys-Paluchowski

Frauen mit einem veränderten Brustkrebsgen, zum Beispiel BRCA1 oder BRCA2, können schon in jungen Jahren an Brustkrebs erkranken. 

Ja, oft sind diese Frauen mit einer genetischen Veranlagung für Brustkrebs besonders jung, wenn sie krank werden. Dass eine Frau schon mit 32 Jahren – wie die Mutter von Jana Momeni – Brustkrebs hat, ist ungewöhnlich. Das ist ja ein sehr junges Alter. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum Ärzte manchmal sagen: ‚So jung kann man gar keinen Krebs haben‘. Das stimmt natürlich nicht. Wir haben sehr junge Patientinnen, wenn auch deutlich seltener als ältere Frauen.  

Wann sollten Ärztinnen und Ärzte denn genauer hinsehen? 

Wenn es in einer Familie mehrere Personen mit Krebserkrankungen gibt, speziell Brustkrebs und Eierstockkrebs, sollten Ärztinnen und Ärzte hellhörig werden und überlegen, ob eine genetische Beratung sinnvoll sein kann.  

In Deutschland haben wir uns auf bestimmte Kriterien geeinigt, ab wann wir eine Beratung empfehlen. Es gibt eine Liste mit diesen Kriterien auf der Webseite des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, so nennt sich dieses Netzwerk. Diesem sind 24 Zentren in ganz Deutschland angeschlossen, meistens an den Universitäten, zum Beispiel in Hamburg oder Lübeck. Die Zentren haben es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen aus Familien zu beraten, in denen viele Krebsfälle vorkommen – und zwar sowohl Frauen als auch Männer. Weil es diese Kriterien gibt, kann übrigens nicht jede Frau zu einem dieser Zentren gehen und sich genetisch testen lassen. 

Können Sie einige Kriterien nennen, die eine Voraussetzung für den Gentest sind? 

Wichtig ist die familiäre Vorgeschichte, die wir uns genau ansehen. Mindestens eines der auf der Liste genannten Kriterien erfüllt sein, um sich an einem dieser Zentren vorstellen zu können. Wenn zum Beispiel in einer Familie drei Personen Brustkrebs hatten – egal wie alt sie waren – dann hat diese Familie einen Anspruch auf eine genetische Beratung. Auch wenn zwei Frauen Brustkrebs hatten und eine davon unter 51 Jahren alt war, oder auch nur eine Person im Alter von unter 36 Jahren an Brustkrebs erkrankt ist, würden wir an eine genetische Beratung denken. 

Die zertifizierten Brustzentren arbeiten mit den Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs eng zusammen. Sie haben ein Checkliste und können schauen, ob eines der Kriterien erfüllt ist und ob sie ihrer Patientin oder ihrem Patienten eine genetische Beratung empfehlen sollen. 

Sie sagten, auch Männer können sich beraten lassen? 

Ja, auch Männer können nämlich an Brustkrebs erkranken, wenn auch sehr selten. Ungefähr ein Prozent aller Brustkrebserkrankungen betrifft Männer. Wenn ein Mann an Brustkrebs erkrankt, ist eine genetische Beratung immer sinnvoll. 

Wie läuft eine genetische Beratung ab? 

Zuerst erstellen wir einen Stammbaum der Familie. Oft ist bei diesem Termin ein Gynäkologe oder Genetiker anwesend, manchmal sind es auch zwei Gespräche nacheinander. Einen Stammbaum zu erstellen bedeutet, dass wir Informationen über die Familie von den Ratsuchenden erfragen. Wir sprechen von Ratsuchenden, weil nicht alle Menschen, die zu uns kommen, an Krebs erkrankt sind. Oft sind es junge und gesunde Menschen, die sich beraten lassen möchten.  

Wir fragen zum Beispiel, an welcher Krebsart die Mama erkrankt ist, wie alt sie geworden ist oder wie verschiedenen Personen miteinander verwandt waren. Ein Prozess, der bis zu einer Stunde dauern kann, gerade wenn jemand eine sehr große Familie hat oder es Halbgeschwister gibt. Je mehr Informationen wir über die Familie bekommen, desto besser ist es und umso genauer ist anschließend der Stammbaum. Danach entscheiden wir, ob eine genetische Testung sinnvoll ist oder nicht.

Kann ich mir nach der ersten Beratung die Entscheidung für oder gegen einen Gentest noch überlegen?  

Auf jeden Fall, wir bieten immer Bedenkzeit an. Viele Frauen, gerade wenn sie jung und nicht erkrankt sind, sagen: ‚Okay, ich habe mir alles angehört und brauche jetzt Zeit zum Überlegen. Vielleicht komme ich nach meinem Studium wieder‘. Das ist vollkommen in Ordnung. Mir ist es wichtig zu sagen, dass wir an keiner Stelle im gesamten Prozess jemanden unter Druck setzen oder Zwang ausüben würden. Es ist schon eine sehr persönliche Entscheidung, ob man wissen möchte, was in seinen Genen ist.  Wer zur Beratung kommt, darf ein offenes Gespräch erwarten. Wir sagen: ‚Eine genetische Testung ist möglich, wenn Sie das möchten. Das Ob und den richtigen Zeitpunkt bestimmen Sie selbst‘.  

Manchmal kommen Frauen oder Männer auch mehrfach zur Beratung zu uns. Meine Aufgabe als Ärztin ist es, zu informieren, welche Vorteile oder Nachteile es haben kann, wenn man weiß dass man eine Mutation trägt. Wir klären darüber auf, was das Ergebnis des Gentests bedeuten könnte. 

Was kommt nach dem Beratungsgespräch? 

Ein Gentest bedeutet, dass wir uns das Erbgut einer Person ansehen, allerdings nicht bezogen auf alle bekannten Erkrankungen und auch nicht auf Merkmale wie die Augenfarbe. Wir schauen uns nur die Gene an, von denen man weiß, dass sie das Brustkrebs- und Eierstockkrebsrisiko beeinflussen.  

Wie viele und welche Gene sind das denn? 

Stand heute sind das 13 Gene, die wir als Kern-Gene bezeichnen. Darunter sind auch die Gene, von denen vermutlich viele schon gehört haben: BRCA1 und BRCA2, die Abkürzung für Breast Cancer Gen 1 und Breast Cancer Gen 2, zu Deutsch: Brustkrebsgen. Das sind sogenannte Hochrisikogene. Wenn dort eine Mutation, also eine genetische Veränderung auftritt, dann wissen wir, dass diese Person ein hohes Risiko hat, an Brustkrebs und auch an Eierstockkrebs zu erkranken.  

Wir kennen noch weitere Gene, die nur ein leicht erhöhtes Krebsrisiko bedeuten. In diesem Fall sprechen wir von moderaten Risikogenen, und davon gibt es einige. Diese Trägerinnen haben zwar ein höheres Erkrankungsrisiko als die Allgemeinbevölkerung, aber es ist nicht so hoch wie bei einer BCRC1- oder BRCA2-Mutation. 

In den letzten Jahren wurden ja immer neue Risikogene gefunden. 

Ja, die Anzahl der Risikogene verändert sich stetig. Angefangen hat es mit BRCA1 und BRCA2, später sind neue Gene dazugekommen. Wir gehen heute davon aus, dass es auch nicht bei 13 Risikogenen bleibt. Es gibt vermutlich noch mehr Gene, die mit Krebs verbunden sind und die wir noch nicht so gut kennen. Vielleicht können wir in ein paar Jahren noch deutlich mehr Gene untersuchen. 

Wenn ein Gentest schon einige Jahre zurückliegt – heißt das, man sollte sich erneut testen lassen? 

Das kann sinnvoll sein. Wenn Sie zum Beispiel vor zehn Jahren eine Gentestung hatten, wurden vermutlich damals nur sechs oder sieben Gene untersucht. Inzwischen sind aber viel mehr Risikogene bekannt. Sie können also nochmals Kontakt mit dem Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs aufnehmen und sich erneut beraten lassen.  

Die gesamte Liste der Risikogene ist auf der Webseite des Konsortiums für familiären Brust- und Eierstockkrebs veröffentlicht. Sie können nachfragen, ob es vielleicht neue Gene gibt, die nachgetestet werden können. Manchmal entdecken wir eine Mutation in einem neu gefundenen Gen, von dem man damals noch nichts wusste. Manchmal finden wir aber auch keine Mutation, obwohl in der Familie mehrere Menschen an Krebs erkrankt sind. 

Gesunde und bereits an Krebs erkrankte Personen können sich testen lassen – der Unterschied? 

An Krebs erkrankte Personen können sich zur genetischen Testung beraten lassen, wenn in der Familie eines der Einschlusskriterien erfüllt ist. Aufgrund der Familiengeschichte kann der Verdacht bestehen, dass die Ursache in den Genen liegen könnte. Unabhängig von den Kriterien wird eine Testung der Gene BRCA1 und BRCA2 bei an Brustkrebs erkrankten Personen empfohlen, wenn das Ergebnis für die Wahl der Systemtherapie von Bedeutung ist.

Bei einer gesunden Person ist es ein bisschen anders. Wenn möglich, würden wir die Testung gerne bei jemandem aus der Familie durchführen, der schon erkrankt war. Sonst würden wir nicht wissen, ob wirklich eine Mutation vorliegt, die vielleicht an diese gesunde Person vererbt wurde. Wir bitten gesunde Ratsuchende daher, mit der erkrankten Mutter oder Tante zu kommen.  

Und wenn diese Person sich nicht genetisch untersuchen lassen möchte? Das kommt ja vermutlich auch vor. 

Wenn alle Erkrankten aus der Familie die Testung ablehnen oder vielleicht schon verstorben sind, haben wir tatsächlich ein Problem. Die Kriterien für die genetische Untersuchung einer gesunden Person sind strenger als bei bereits erkrankten Menschen.  Wir bieten zum Beispiel ein besonderes Programm, das intensivierte Früherkennungs- und Nachsorgeprogramm. Die Abkürzung dafür ist IFNP. Es kann eine Möglichkeit sein, wenn eine Testung nach den heutigen Kriterien nicht möglich ist. Meist findet sich ein Weg. Auch wenn vielleicht kein Anspruch auf einen Gentest besteht –  ein Recht auf Beratung hat immer die gesamte Familie. 

Wie funktioniert die Untersuchung der Gene genau? 

Die molekularbiologische Analyse der Gene, die Sequenzierung, und ihre Beurteilung sind eine echte Herausforderung. Die Analyse gelingt nicht innerhalb eines Tages, sondern dauert meist zwei bis sechs Wochen. Für die Ratsuchenden ist es nur eine einfach Blutentnahme. Das Blut wird ins genetische Labor eingeschickt. Dann heißt es erstmal Geduld zu haben, weil Genetiker die komplexe Sequenzierung durchführen müssen. 

Sobald das Ergebnis da ist, informieren wir die Ratsuchenden und laden sie zu einem weiteren Gespräch ein.  Was der Genbefund ergeben und welche Bedeutung das Ergebnis hat, teilen wir wieder in einem persönlichen Gespräch mit. 

Warum soll ich mich eigentlich genetisch testen lassen? 

Weil wir etwas unternehmen können. Eine Möglichkeit ist das IFNP, das ein sehr wichtiger Teil der Betreuung und Begleitung an einem Zentrum für familiären Brust und Eierstockkrebs ist. Wer daran teilnimmt, kommt häufiger zur Krebsfrüherkennung und wird engmaschig betreut. Wie oft die Untersuchungen sinnvoll sind, hängt von der vorliegenden Mutation und dem Alter einer Frau ab. 

Bei Hochrisikomutationen wie BRCA1, BRCA2, aber auch TP53 und PALB2 kommen Frauen alle sechs Monate zu uns. Einmal im Jahr findet eine Magnetresonanztomographie, eine MRT, statt. Sie ist die empfindlichste, aber auch teuerste Untersuchung. Es würde übrigens keinen Sinn machen, die MRT allen Frauen zur Brustkrebsfrüherkennung anzubieten. Wir würden viele Befunde erhalten, die weiter abklärungsbedürftig und am Ende  unauffällig sind. Aber bei Frauen mit diesem sehr hohen Krebsrisiko lohnt sich diese hochempfindliche Untersuchung. Deswegen ist sie einmal im Jahr ein fester Bestandteil des Programms.  

Dazu kommen alle sechs Monate eine Ultraschalluntersuchung der Brust und später die Mammographie, bei jungen Frauen erst ab dem 40. Lebensjahr. Davor ist die Brust noch sehr dicht und lässt sich besser mit Ultraschall und MRT beurteilen. Das Programm begleitet die Frauen sehr lange, im Moment bis zum 70. Lebensjahr. Dadurch bleibt man sehr gut angebunden. 

Eine Alternative zur Früherkennung sind prophylaktische Operationen. 

Nach vorbeugenden oder risikoreduzierenden Operationen fragen uns viele Frauen.  Wir möchten durch diese Operationen das Brust- und Eierstockkrebsrisiko einer Frau so weit wie möglich senken. Frauen mit einer Hochrisikomutation haben die Möglichkeit, die Brustdrüsen prophylaktisch entfernen zu lassen, bevor Brustkrebs auftritt. Die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter reduziert das Risiko für Eierstockkrebs. Allerdings fallen Frauen dann schlagartig in die Wechseljahre, was vor allem für junge Frauen ein Problem sein kein. Einerseits bei einem bestehenden Kinderwunsch, weil sie nach dem Eingriff nicht mehr schwanger werden können. Andererseits wegen der Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen, die durch den Hormonmangel verursacht werden.  

Und gegen die Wechseljahressymptome lässt sich nichts tun? 

Dazu gibt es jetzt im Konsortium neue Entwicklungen. Bei gesunden Mutationsträgerinnen, die ihre Familienplanung abgeschlossen haben, beginnt sofort nach der OP der Eierstöcke und Eileiter eine niedrigdosierte Hormonersatztherapie. Man gleicht so die Hormone aus, die man künstlich durch die Entfernung der Eierstöcke weggenommen hat. Diese Empfehlung ist jetzt in der Leitlinie verankert. Vorher bestand unter Ärztinnen und Ärzten aus der Gynäkologie oft große Unsicherheit,  ob eine Frau mit einer genetischen Mutation eine Hormonersatztherapie bekommen kann. Die Hormoneinnahme ist jetzt bis zum natürlichen Menopausealter empfohlen, also ungefähr bis zum 50. Lebensjahr. 

Früherkennung oder Operation – wofür entscheiden sich Frauen ihrer Erfahrung nach? 

Das lässt sich nicht allgemein beziffern, denn diese Entscheidung ist nicht leicht und immer höchst individuell. Wir beraten jede Frau persönlich, meist in mehreren Gesprächen. Oft nehmen Ratsuchende zuerst am intensivierten Früherkennungsprogramm teil und lassen sich einige Jahre später zu den Operationsmöglichkeiten beraten. Danach entscheiden sich manche für eine risikoreduzierende OP, andere dagegen. Beide Wege sind völlig in Ordnung. 

Nicht alle Trägerinnen einer genetischen Mutation erkranken – weiß man warum? 

Daran wird noch geforscht. Tatsächlich ist bei einem Hochrisikogen die Wahrscheinlichkeit für Brust- und Eierstockkrebs hoch, aber nicht jeder Trägerin entwickelt eine dieser Krebsarten. Wir haben auch Frauen bei uns im Programm, die sehr alt werden und nie Brustkrebs hatten. Ein 100-prozentiges Erkrankungsrisiko bedeutet eine genetische Mutation daher nie.  

* Prof. Dr. Maggie Banys-Paluchowski ist stellvertretende Klinikdirektorin an Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Leiterin des Brustzentrums und des Zentrum für Familiären Brust- und Eierstockkrebs 

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