Psychoonkologie

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Die Psychoonkologie ist eine Form der psychosozialen Beratung und Betreuung beziehungsweise Psychotherapie. Sie befasst sich mit den psychischen und sozialen Begleit- und Folgeerscheinungen einer Krebserkrankung. Die Anfänge der Psychoonkologie gehen auf die 1970er Jahre zurück, als untersucht wurde, ob eine Krebserkrankung mit bestimmten psychosozialen Faktoren zusammenhängt.

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Über den Stellenwert der Psychoonkologie in der heutigen Behandlung Krebskranker und deren Angehöriger sprach Mamma Mia! mit Professor Dr. Joachim Weis von der Klinik für Tumorbiologie an der Universität Freiburg. Professor Weis ist im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.

Mamma Mia!: Herr Professor Weis, wie würden Sie das Berufsbild der Psychoonkologen beschreiben?

Prof. Dr. Joachim Weis: Nun, wie der Name schon sagt, beschäftigen sich Psychoonkologen mit der psychologischen Begleitung von Krebspatienten und deren Angehörigen. Dabei ist wichtig zu betonen, dass sich die Betreuung von Krebspatienten in vielen Punkten von der Betreuung anderer psychisch kranker Menschen unterscheidet. Krebspatienten haben meist eine vorübergehende psychische Krise aufgrund der Diagnose und der mit der Krebserkrankung zusammenhängenden Therapien. Es handelt sich jedoch in den meisten Fällen um psychisch gesunde Menschen. Somit ist auch der Ansatzpunkt der Therapie ein anderer.

Mamma Mia!: Welchen Bildungsweg beschreiten Psychoonkologen? Handelt es sich um eine geschützte Berufsbezeichnung?

Prof. Dr. Joachim Weis: Nein, es handelt sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung. Fachverbände setzen sich jedoch dafür ein, dass das geändert wird. Zurzeit kann das Gütesiegel „Psychoonkologe“ über Fortbildungen erworben werden. Die Arbeitsgemeinschaft Psychoonkologie (PSO) der Deutschen Krebsgesellschaft beispielsweise bietet diese Fortbildungen über den Verein Weiterbildung Psychosoziale Onkologie (WPO e.V.) an. Voraussetzung für die Teilnahme daran ist ein abgeschlossenes Psychologie- oder Medizinstudium beziehungsweise das Studium eines psychosozialen Fachgebietes wie Pädagogik, Sozialarbeit, et cetera. Eine psychotherapeutische Weiterbildung verbunden mit der oben genannten psychoonkologischen Fortbildung sind Voraussetzungen, um als Psychoonkologe/in in einem zertifizierten Zentrum arbeiten zu können.

Mamma Mia!: Welchen Stellenwert nimmt die Psychoonkologie in der Brustkrebstherapie ein? Können Sie sagen, wie viele Betroffene die Psychoonkologie in Anspruch nehmen?

Prof. Dr. Joachim Weis: Insbesondere an Brustkrebs erkrankte Frauen nehmen psychoonkologische Angebote häufig in Anspruch. Dabei unterscheiden wir zwischen Beratung, kurz- und langfristigen Therapien. Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent der Betroffenen nehmen aufgrund tiefer gehender psychologischer Probleme eine langfristige Therapie in Anspruch. Sie leiden unter Depressionen, massiven Angststörungen oder haben aus anderen Gründen Probleme, wieder in ihrem Leben Fuß zu fassen. Die Probleme können, müssen aber nicht durch die Erkrankung verursacht worden sein. Sie können auch vorher bestanden und gegebenenfalls durch die Erkrankung verstärkt worden sein. Weitere 30 Prozent suchen sich vorübergehend psychoonkologische Begleitung. Von den verbleibenden 50 Prozent der Betroffenen sucht ein Großteil Informationen und Beratung, beispielsweise was den Umgang mit Familienangehörigen angeht. Auch Angehörige nehmen Beratungsgespräche in Anspruch.

Mamma Mia!: Wo findet die psychoonkologische Betreuung statt? Eher direkt im Krankenhaus oder gibt es auch niedergelassene Psychoonkologen?

Prof. Dr. Joachim Weis: Sowohl als auch. In zertifizierten Brustzentren gibt es immer Psychoonkologen. Das ist eine wesentliche Anforderung im Zertifizierungsverfahren. Dabei gilt, dass auf 150 Primärfälle, also neu erkrankte Patientinnen in einem Zentrum, mindestens eine halbe Psychoonkologen Stelle zur Verfügung stehen muss. Es gibt auch eine relativ gut funktionierende ambulante Versorgung, die jedoch weiter ausgebaut werden muss. Neben niedergelassenen Psychotherapeuten, die sich psychoonkologisch fortgebildet haben, leisten auch die Krebsberatungsstellen (meist in freier Trägerschaft) eine wichtige Arbeit. Die deutsche Krebshilfe bemüht sich über ein Förderprogramm, das Netz an psychosozialen Beratungsstellen weiter auszubauen und Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen zu etablieren.

Mamma Mia!: Wie sieht es mit der psychologischen Betreuung von Kindern krebskranker Eltern aus? Werden sie ebenfalls von Psychoonkologen betreut oder sind eher Kinderpsychologen die bessere Anlaufstelle?

Prof. Dr. Joachim Weis: Die Kinder krebskranker Eltern sind erst in den letzten Jahren als eine wichtige Zielgruppe psychoonkologischer Beratung und Behandlung erkannt worden. Bisher liegen uns noch kaum verlässliche Zahlen vor, wie groß der Anteil der Kinder krebskranker Eltern tatsächlich psychoonkologisch betreuungsbedürftig ist. Ein interdisziplinäres Verbundprojekt, gefördert durch die Deutsche Krebshilfe, wird hier erste empirische Ergebnisse liefern können. Die Angebote, die derzeit in verschiedenen Zentren laufen, zeigen jedoch, dass hier wichtige Versorgungsimpulse gesetzt werden können.

Mamma Mia!: Wie steht es um die palliative Betreuung?

Prof. Dr. Joachim Weis: Die palliative Betreuung findet ja an verschiedenen Orten statt. Es gibt Palliativstationen an Krankenhäusern und Hospize, in denen die psychologische Betreuung in der Regel gut organisiert ist. Anders sieht es bei den Patienten aus, die sich entscheiden, zuhause zu sterben. Es gibt seit einigen Jahren eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), die die Betreuung Sterbender zuhause gewährleisten soll. Im Leistungskatalog der SAPV ist die Kostenerstattung für eine psychoonkologische Betreuung jedoch nicht immer vorgesehen. Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Es ist an dieser Stelle jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass auch die psychosozialen Krebsberatungsstellen Mitarbeiter und geschulte Freiwillige haben, die Hausbesuche machen beziehungsweise Ansprechpartner vermitteln.

Mamma Mia!: Eine Frage, die ja auch Psychologen seit Jahrzehnten beschäftigt, ist die Frage nach dem Einfluss psychologischer Faktoren auf eine Krebserkrankung. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Prof. Dr. Joachim Weis: Bei dieser Frage handelt es sich um eine sehr komplexe Angelegenheit, die wissenschaftlich nur sehr schwer zufriedenstellend geklärt werden kann. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft gehen wir davon aus, dass die Psyche keinen direkten Einfluss auf die Entstehung von Krebs hat. Der früher gerne zitierte Begriff der „Krebspersönlichkeit“ wurde ad acta gelegt. Das bedeutet, dass es nicht bestimmte Typen oder psychische Eigenschaften bei Menschen gibt, die das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhen. Vielmehr ist die Krebsentstehung von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, so dass einfache Ursachen-Wirkungszusammenhänge hier nicht greifen. Auch die Stresshypothese konnte bisher als hinreichende Erklärung nicht bestätigt werden; hier gilt, dass eher die Stressreaktionen wie beispielsweise falsche Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen oder Alkoholmissbrauch die eigentlich auslösenden Faktoren sein können. An Krebs erkrankte Menschen fangen nach der Diagnosestellung jedoch häufig an zu reflektieren, über psychische Einflussfaktoren nachzudenken und davon abgeleitet bestimmte Dinge im Leben zu verändern. Dies ist im Sinne eines Anpassungsprozesses für den Einzelnen wichtig, aber hat nichts mit einer tatsächlichen Ursachenerklärung zu tun.

Mamma Mia!: Hat also die psychische Verfassung der Patienten keinen Einfluss auf den Heilungsprozess?

Prof. Dr. Joachim Weis: Direkt nicht, indirekt schon. Wir wissen, dass Patienten, die beispielsweise unter einer schweren Depression leiden, auch häufig die Therapie abbrechen, keine Hilfe annehmen und sich nicht informieren. Dadurch verschlechtert sich die Prognose, vor allem wenn Medikamente nicht regelmäßig eingenommen werden.

Mamma Mia!: Herr Professor Weis, was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Prof. Dr. Joachim Weis: Zunächst hoffe ich, dass wir die psychoonkologische Betreuung im ambulanten Bereich verbessern können. Dazu ist es notwendig, dass die Psychoonkologie in unserem Gesundheitssystem abrechenbar wird, auch beispielsweise für Krebsberatungsstellen. Heute ist es so, dass selbst in Akutkrankenhäusern kein zusätzliches Honorar für psychoonkologische Betreuung gezahlt wird. Das muss sich dringend ändern. Außerdem wollen wir uns dafür einsetzen, dass der Begriff „Psychoonkologie“ geschützt und an bestimmte Qualitätsmerkmale gekoppelt wird.

Prof. Dr. phil. Joachim Weis

Klinik für Tumorbiologie an der Universität Freiburg
Psychosoziale Abteilung
Breisacher Straße 117
79106 Freiburg
Tel: +49 761 2062218

Internet: www.ukf-reha.de

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